Aufrufe
vor 7 Jahren

DER KONSTRUKTEUR 10/2016

DER KONSTRUKTEUR 10/2016

WERKSTOFFTECHNIK 01

WERKSTOFFTECHNIK 01 Frontendträger des Skoda Octavia aus Durethan DP BKV 60 H2.0 EF (60 % Glasfasern). Der bis zu den Kotflügelbänken reichende obere Querverbund des Bauteils kommt ohne verstärkende Metallbleche aus bereinigte“ spezifische Steifigkeit ist ähnlich hoch wie bei einem Polyamid 6 mit 60 % Glasfasergehalt, die spezifische Festigkeit mit rund 111 MPa/g/cm 3 ist allerdings markant besser. Das Carbonmaterial ist damit rund doppelt so fest wie die meisten Druckgusszinkwerkstoffe und erreicht die Festigkeit von Druckgussaluminium. Hybridtechnik – Stärken von Metall und Kunststoff vereint Benötigt der Konstrukteur für ein Strukturbauteil die Steifigkeit und Festigkeit von Metallen wie Stahl- oder Aluminiumblech, kann er glasfaserverstärktes Polyamid 6 oder Polyamid 66 nutzen, um die Metallprofile noch dünnwandiger und somit leichter auszulegen und sie dann per Spritzguss gezielt mit Kunststoffrippen zu einer tragenden, aber leichten Gesamtkonstruktion zu verbinden. Die Rippen verhindern ein Knicken und Beulen der dünnwandigen Bleche unter Belastung und steigern die Biege- und vor allem die Torsionssteifigkeit der Metallkonstruktion deutlich. Die Bleche sind dadurch bis zur theoretisch maximalen Grenze (Fließgrenze) belastbar. Diese so genannte Hybridtechnik senkt Gewicht und Kosten von Serienteilen wie Pedallagerböcken, Frontendträgern und Bremspedalen im Vergleich zu reinen Stahlkonstruktionen um 10 – 50 %. Eine neue Variante der Hybridtechnik kombiniert das in der Serienfertigung von Leichtbauteilen etablierte Innenhochdruckumformen (IHU) von Metallrohren mit dem Spritzgießen von hochverstärktem Polyamid. In einem Arbeitsgang entstehen hochkomplexe Strukturbauteile, die früher aufwändig in mehreren Prozessschritten hergestellt werden mussten. Dabei sind noch einmal Gewichtseinsparungen von bis zu 20 % möglich. Als Spritzgussmaterial hat sich dabei u.a. ein mit 60 % Glasfasern hochverstärktes Polyamid 6-basiertes Compound Durethan von Lanxess bewährt – so etwa in der Fertigung von Trägern für Instrumententafeln und Frontends. Es sorgt dafür, dass die formschlüssigen Umspritzungen statisch und dynamisch hoch belastbar sind. Ein weiterer Ansatz, das Leistungspotenzial der Hybridtechnik zu steigern, sind Stahlbleche, die mit einem Haftvermittler beschichtet sind. Sie werden nach dem Umformen im Spritzgießwerkzeug mit einer verstärkenden Rippenstruktur aus Polyamid vollflächig haftend verbunden. Das Ungewöhnlich wärmeleitfähig Beim Thermomanagement von LEDs und Elektrogeräten zielen neue Polyamid- Compounds auf Anwendungen, die bisher von anderen Materialien, insbesondere Metallen und Keramiken, „besetzt“ waren. So hat Lanxess unter der Marke Durethan ein mineralgefülltes, sehr flammwidriges Polyamid 6-Compound ent wickelt, das rund zehnmal wärmeleitfähiger ist als ein Standard-Polyamid 6 mit 30 % Glasfasern. Bei Kühlkörpern ist es besonders dann eine Alternative zu Druckguss aluminium, wenn Wärmeleitfähigkeiten im Bereich von 2 W/mK benötigt werden. Kundenservice für Innovation Ergebnis sind Metallblech-Polyamid-Verbunde, die im Vergleich zur klassischen formschlüssigen Hybridtechnik um ein Mehrfaches torsionssteifer sind. Einen Leistungssprung ermöglichen in der Hybridtechnik leichte Organobleche. Diese Plattenhalbzeuge – die unter dem Markennamen Tepex von der Lanxess- Tochtergesellschaft Bond-Laminates hergestellt und vertrieben werden – bestehen aus einer Thermoplast-Matrix etwa aus Polyamid 6, die mit einem Gewebe oder Gelege z. B. aus Glas- oder Carbon-Endlosfasern verstärkt ist. Organobleche haben mit 1,4 – 1,8 kg/dm 3 eine deutlich geringere Dichte als Stahl- oder Aluminiumblech. Entsprechende Organoblech-Hybridverbunde auf Basis von Polyamid 6 sind zwar weniger steif als solche aus Polyamid 6 und Stahlblech, doch zeigen sie eine doppelt so hohe Festigkeit und Energieaufnahme. Dadurch erschließen sie ein Leichtbaupotenzial, das bei geeigneter Anwendung und materialgerechter Konstruktion zu einer signifikanten Gewichtsreduktion führt. Mit Tepex werden z.B. in Composite-Hybridbauweise (Hybrid Moulding) Sitzschalen, Stoßfängerträger und Pedale in Serie gefertigt. Fast elastomere Eigenschaften Am anderen Ende der „Härteskala“ dringt Polyamid ebenfalls in neue Einsatzbereiche vor. So sind inzwischen ungewöhnlich weiche und zähe Polyamid 6-Typen verfügbar, die sich fast elastomer verhalten – wie etwa das unverstärkte Durethan BC 700 HTS. Es hat Die Erweiterung der Einsatzgrenzen von Polyamid 6 und Polyamid 66 gelingt vor allem in enger Zusammenarbeit mit Entwicklungspartnern. Diese werden von Lanxess mit dem Know-how-Paket HiAnt über die komplette Entwicklungskette eines Bauteils bis hin zum Serienstart unterstützt. Zu den Leistungen zählen u. a. die werkstoffgerechte Konstruktion mit CAE-Tools, die Auslegung von Formteilen in puncto Wärmeleitfähigkeit oder Schwingprüfungen an Bauteilen mit Klimatests. HiAnt berücksichtigt schon in der Konstruktionsphase die gesamte Baugruppe, zu der ein avisiertes Bauteil gehört. Ein Ziel ist dabei, zu einer Gesamtlösung in Kunststoff zu kommen. 66 Der Konstrukteur 10/2016

WERKSTOFFTECHNIK STATEMENT Dr. Michael Döppert, Chefredakteur Das Entwicklungspotenzial von Polyamid 6 und 66 scheint längst nicht ausgereizt zu sein, und schon gar nicht in Verbindung mit Faserverstärkung, Hybridtechnik und Organoblechen. Aus vielen Gesprächen weiß ich aber auch, dass das Potenzial auf der Konstruktionsseite, sprich die Chancen, die sich durch eine materialgerechte Konstruktion eröffnen – gerade bei Einsatz von Kunststoffen – häufig nicht voll genutzt werden. Damit werden natürlich Vorteile und konstruktive Freiheitsgrade der heute verfügbaren Polyamid 6- und 66-Typen oft noch nicht voll ausgeschöpft. 02 Der Modulflansch für einen Antrieb von Pkw-Innenbelüftungen besteht aus dem mineralverstärkten Polyamid 6 Durethan BTC 75 H3.0 EF einen E-Modul von nur 210 MPa (konditioniert). Mit ihm lassen sich Ladeluftrohre mit integrierten Faltenbälgen als Einmaterial­ Lösung durch Extrusionsblasformen herstellen. Der neue Werkstoff ist so weich, dass er auch gute Abdichteigenschaften hat – z. B. bei der Montage mittels Schlauchklemmen. Er ist gegen Öle, Kraftstoffe und säurehaltige Kondensate beständiger als thermoplastische Polyesterelastomere und elastomere Blockcopolyamide, aus denen ebenfalls in Serie Ladeluftrohre blasgeformt werden. Bis 200 °C dauerstabil Eine Materialentwicklung zur Substitution von Hochleistungsthermoplasten sind neue, wärmestabilisierte Polyamid 6- und Polyamid-66-Typen Durethan XTS (Xtreme Temperature Stabilization). Die Grenztemperatur der Wärmealterung und der Wärmeformbeständigkeit fällt bei ihnen zusammen, denn sie sind bis zu 200 °C dauerstabil. Mittlerweile steht auch eine metall- und salzfreie XTS-Stabilisierung zur Verfügung, so dass im direkten Kontakt mit Metallkomponenten keine Kontaktkorrosion auftritt. Die XTS-Typen bieten sich in vielen Fällen als Alternative zu teuren, hitzestabilisierten Spezialthermoplasten wie etwa Polyphthalamiden oder Polyamid 46 an. Denkbare Anwendungen im Motorraum sind u.a. Ladeluftrohre und Komponenten des Ölkreislaufs. Bilder: Lanxess www.lanxess.com Herkömmlicher Stabilisator Neue Stabilisierung XTS3 03 Bruchflächen von Polyamid 6-Prüfkörpern nach 2000 Stunden Alterung bei 200 °C und Schlagzähigkeitsprüfung (Izod) – das XTS-System schützt das Polymer wirkungsvoll vor thermischer Alterung Der Konstrukteur 10/2016 67