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DER KONSTRUKTEUR 10/2018

DER KONSTRUKTEUR 10/2018

3D-DRUCK VON FLUGHUNDEN

3D-DRUCK VON FLUGHUNDEN UND VÖGELN LERNEN SPECIAL Fast als würden sie wachsen – so entstehen Bauteile Schicht für Schicht im 3D-Drucker. Mit geringem Materialeinsatz lassen sich durch den schichtweisen Aufbau jetzt stabile Strukturen schaffen, wie sie die Natur schon lange vormacht. Doch die neuen Freiheiten in der Konstruktion bedeuten auch eine gewisse Umstellung – umso besser, wenn starke Tools dabei unterstützen. Autor: Wilfried Gassner, Dassault Systèmes, München Leonardo da Vinci studierte schon vor über 500 Jahren den Vogelflug, um ihn auf Fluggeräte zu übertragen. Auch wenn sich sein Assistent bei den wenig erfolgreichen Flugversuchen je nach Überlieferung ein Bein oder mehrere Rippen brach, so gilt der italienische Meister dennoch als Vater der Bionik. Gut ein halbes Jahrtausend später ist die Natur immer noch Vorbild für Wissenschaft und Ingenieure. So zeigte Festo auf der diesjährigen Hannover Messe ein ultraleichtes Flugobjekt, das sich an Flughunden orientiert. Kein Wunder, denn die Strukturen und Formen, die die Evolution im Laufe von 3,8 Milliarden Jahren zustande gebracht hat, sind leicht, stabil und hochfunktional zugleich. Man denke nur an Bäume oder Knochen. Solche Strukturen bei der Konstruktion technischer Bauteile nachzuahmen, schien bis vor wenigen Jahren utopisch. Zwar gibt es schon seit einiger Zeit Software, die anspruchsvolle Geometrien entwickelt und deren Verhalten unter Last berechnet. Die klassischen Herstellungsverfahren schränkten aber die Konstruktionsfreiheit ein, etwa weil die Kriterien Stanzbarkeit oder Gießbarkeit nur begrenzte geometrische Möglichkeiten zuließen. Mit der additiven Fertigung ändert sich dies: Inzwischen lassen sich auch komplexe Geometrien realisieren, die sich an der Natur orientieren. Nicht ohne Grund stammen viele Teile von Festos Robotertieren aus dem 3D-Drucker. 90 DER KONSTRUKTEUR 10/2018

3D-DRUCK 01 Das Teil eines Gelenks in einem Heuwender zeigt, welche Umbrüche die Kombination aus Simulation und additiver Fertigung mit sich bringt; oben das Ausgangsteil, rechts eine nach bionischem Vorbild optimierte Variante Die bionische Konstruktionsmethodik, kombiniert mit 3D-Druck, reduziert laut der Bitkom-Studie „3D-Druck – Erfolgsgeschichte für den Digitalstandort“ von 2017 sogar das Materialgewicht und den Gesamtmaterialverbrauch einzelner Teile um bis zu 90 %. Insgesamt lassen sich durch additive Fertigung bis zu 70 % der Produktionszeit und 80 % der Herstellungskosten einsparen. Schließlich senkt 3D-Druck auch die Rüstkosten deutlich, z. B. für die Erstellung von Formen und Werkzeugen. MIT ZEITGEMÄSSER TECHNIK AUF DEN SPUREN DER NATUR Doch wie nutzt man als Konstrukteur diese Möglichkeiten? Eine aktuelle Konstruktionssoftware alleine ist dafür längst nicht ausreichend. Notwendig ist eine Vernetzung verschiedener Tools auf Basis einer einheitlichen Datengrundlage, wie sie die 3D- Experience-Plattform von Dassault Systèmes bietet. Auf einer solchen zentralen Plattform stehen idealerweise nicht nur sämtliche Daten, sondern auch alle benötigten digitalen Werkzeuge zur Verfügung. Eine große Rolle beim Entwerfen bionischer, leichter Strukturen spielen Optimierungsverfahren wie die simulationsbasierte Strukturoptimierung. Auf der 3D-Experience-Plattform lässt sie sich WIEDERHOLTE SIMULATION, ANALYSE UND VERBESSERUNG DER KONSTRUKTION FÜHREN ZUM OPTIMUM durch die Catia Functional Generative Design Lösung umsetzen – basierend auf der Technologie von Simulia Tosca Structure. Dabei wird die optimierte Geometrie eines Bauteils berechnet, welche die gewünschten Eigenschaften besitzt. Jede dieser Strukturoptimierungen basiert auf einem Simulationsmodell des jeweiligen Bauteils. Aufbauend auf aufgebrachten Lasten und Randbedingungen simuliert die Software dann das Verhalten des Teils in den modellierten Betriebszuständen. Im Anschluss analysiert das Programm automatisch die Ergebnisse der Simulation und verändert die Bauteilgeometrie mit mathematischen Modellen und Algorithmen, bis sie dem angestrebten Ziel so nah wie möglich kommt. Dieser Prozess aus Simulation, Analyse und Verbesserung der Konstruktion wird automatisch mehrfach wiederholt – solange, bis ein Optimum vorliegt. Dabei berücksichtigt die Software von Anfang an die Fertigungsbedingungen: Der Anwender definiert z. B. Kriterien wie Stanzbarkeit oder Gießbarkeit. Daraufhin errechnet die Software ausschließlich geometrische Varianten, die dem Herstellungsverfahren gerecht werden. Im Fall des 3D-Drucks fallen einige Einschränkungen hinsichtlich der Herstellbarkeit weg, und so kommen automatisch eine Reihe zusätzlicher Varianten ins Spiel. BIONIK – VOM ENTWURF ZUM BAUTEIL In einer Design-Studie hat Dassault Systèmes ein Teil entwickelt, das aus Kunststoff gedruckt wird. An besonders belasteten Stellen legt der 3D-Drucker einen dünnen Kevlarfaden ein, bevor die nächste Schicht aufgespritzt wird. Das Bauteil – Teil eines Gelenks in einem Heuwender – zeigt exemplarisch, welche Umbrüche die Kombination aus Simulation und additiver Fertigung mit sich bringt. Es sieht nicht nur anders aus als sein Vorgänger, der in Metallguss hergestellt wurde. Statt 8 kg wiegt es auch nur noch 800 g, bei gleicher Belastbarkeit. Wie ist so etwas möglich? Durch gezieltes Weglassen aller unnötigen Strukturen. Schaut man sich die Lasten in der Finite-Elemente-Analyse (FEA) an, fällt auf, dass an dem alten Bauteil vielleicht die Hälfte des Volumens keinerlei Last aufnimmt und damit nur unnötig Gewicht und Kosten verursacht. Das Bauteil und seine Lastpfade zu optimieren, indem man Material weglässt, widerstrebt jedoch vielen Ingenieuren. Die Software hilft dabei, umzudenken. Im Idealfall sieht der Prozess von der Idee zu einem 3D-gedruckten Produkt so aus: Als Erstes entwirft der Konstrukteur das Bauteil in einem CAD-Programm. Nun folgt die Topologieoptimierung mit Simulia Tosca Structure. Die 3D-Experience-Plattform sorgt dafür, dass dieses optimierte Design mit Functional Generative Design nahtlos in der CAD-Software erstellt, verarbeitet und für die weitere konstruktive Optimierung genutzt werden kann. Und sie stellt sicher, dass auch die Kollegen Zugriff auf diese optimierten Daten haben, und zwar auf die jeweils aktuelle Version. Mit Hilfe der zentralen Plattform ist jeder stets auf dem neuesten Stand. DER KONSTRUKTEUR 10/2018 91