Aufrufe
vor 5 Jahren

DER KONSTRUKTEUR 10/2018

DER KONSTRUKTEUR 10/2018

SUMMER OF ENGINEERING

SUMMER OF ENGINEERING Wachstum. Fraba beschäftigte damals 50 Mitarbeiter. Weiteres Wachstum, neue Mitarbeiter und neue Produkte kamen schnell hinzu. „Aber ein ganz wichtiger Schritt fehlte uns noch zur end gültigen Umsetzung: Wir wollten unser handwerkliches Geschäftsmodell in ein komplett digitalisiertes, zukunftsfähiges System umwandeln, um uns skalierbar und vor allem global aufstellen zu können“, erinnert sich Christian Leeser. Mit Eröffnung des Fertigungswerkes im polnischen Slubice, der Computerisierung der Fertigung, der Implementierung eines Internet-basierenden EDV-Systems und der Gründung der Entwicklungsgesellschaft in Aachen hat Fraba die grund legende und zukunftsweisende Strukturänderungen erfolgreich einführen können. SPIELFREUDE IMMER DABEI „Wir wollten in unserer Firma immer etwas Besonderes machen, durchaus Risiken eingehen und vor allem polarisieren, denn unsere Erfahrungen aus der Beraterzeit zeigten, dass das Engagement junger Mitarbeiter oftmals in großen Unternehmen schwindet“, erklärt Christian Leeser. Seine Antwort war: Spielfreude! „Diese macht heute unsere Prozesse aus. Spielfreude ist eine Situation, in der eine Gruppe von Menschen auf ein Ziel gerichtet auf einem Leistungsniveau zusammenarbeitet, das höher ist als 100 % von dem, was man glaubt erreichen zu können. Kein Mitarbeiter braucht dabei Angst zu haben, Fehler zu machen. Wir alle befinden uns in einem Spiel, in dem jeder im Team alles für den gemeinsamen Sieg tut und hochmotiviert ist.“ Und dabei ist dem Geschäftsführer klar, dass sich ein solches Konzept nicht einfach vorschreiben lässt, sondern nur die Basis dafür geschaffen werden kann, damit Spielfreude entsteht und wächst. Etwas Besonderes hat die Fraba dann auch mit ihrem ungewöhnlichen Standort in der Kölner Innenstadt geschaffen. Die Lage und die Büroräume sind so ausgelegt, um neue Mitarbeiter zu rekrutieren, die längst in der digitalen Arbeitswelt angekommen sind. So konkurriert man nicht mehr mit dem Wett bewerb im alten Industrieumfeld, sondern eher mit Digitaldienstleistern, denen man durchaus schon einige Talente entlocken konnte. Auch die Firmensprache Englisch trägt dazu bei, dass junge talentierte Mitarbeiter ein Auge auf Fraba werfen. „An erster Stelle stehen aber unsere Kernwerte, die vom Management genauso wie von den Mitarbeitern eingefordert werden. Unsere Informationspolitik ist so offen, dass jeder Mitarbeiter Zugang zu allen Informationen hat, bis zur Gehaltsliste der Kollegen und Führungskräfte“, so Christian Leeser. Mit dieser Offenheit – Open Book Policy genannt – will man gezielt und ohne Widerstände an spornen und motivieren. „Wir glauben, dass die Organisation am leistungsfähigsten ist, wenn alle Informationen redundant dahin fließen, wo sie genutzt werden und jeder einzelne viel mehr weiß, als es in vielen anderen Unternehmen der Fall ist. Oberste Aufgabe für jeden Mitarbeiter ist es, sich in diesem System und für sein Themengebiet überflüssig zu machen. Die Geschäftsleitung hat dafür zu sorgen, dass keiner einen Nachteil erfährt, sondern dafür belohnt wird“, sagt Christian Leeser. VOLLAUTOMATISIERT ZU LOSGRÖSSE 1 Das Spiel endet bei Posital Fraba nicht bei den Mitarbeitern. Es greift, wenn es um den Erfolg und um die Entwicklung neuer Technologien und Geschäftsprozesse geht. Mass Customization, der Produktfinder und die Einführung magnetischer Multiturn-Drehgeber – statt optischer Systeme – sind die wesent lichen Eckpunkte dabei. „Als wir die Produktion von Köln nach Slubice verlagert haben, war unser Ziel, eine komplette Standardisierung und Digitalisierung der Fertigung zu realisieren“, erinnert sich Jörg Paulus, Deutschland- und Europachef bei Posital Fraba. Basis dafür bildete ein modular aufgebauter Encoder-Baukasten, mit dem sich über 1 Mio. Sensorvarianten realisieren lassen. Der Kunde kann sich online über den Produktfinder aus über 3 000 Bauteilen in kürzester Zeit seinen optimal konfigurierten Drehgeber generieren. Verfügbarkeit und der Preis werden gleich mit ausgegeben. In Zukunft soll auch das Ersatzteilgeschäft darüber abgewickelt werden. Dafür wird das Angebot der Markt begleiter digitalisiert und der Kunde kann über eine Cross-Reference das zu seiner Applikation passende, adäquate Fraba-Produkt finden und bestellen. „Hiermit tragen wir den Anforderungen der Maschinenbauer nach maßgeschneiderten Produkten, kleinsten Losgrößen und einer schnellen Lieferung Rechnung. Durch Mass Customization schaffen wir es, dass der Kunde in nur drei Tagen sein Produkt auf dem Tisch liegen hat, mit Express sogar innerhalb von 24 Stunden“, erklärt Jörg Paulus. Jährlich verlassen so mehr als 5 000 verschiedene Encoder- Varianten das polnische Werk mit seinem einzigartigen Fertigungskonzept. Gesteuert wird die Fertigung vollautomatisch. Der Mitarbeiter erhält den Auftrag über sein Tablet und führt ihn Schritt für Schritt durch – geführt von Piktogrammen und klaren Arbeitsanweisungen. „Wir benötigen daher in Sublice keine Facharbeiter, sondern können sogar neue Mitarbeiter innerhalb von zwei Wochen in alle Abläufe der Produktion einarbeiten, weil das gesamte Auf- 04 Blick in die Produktion im polnischen Slubice 05 Die Montage der Drehgeber erfolgt zwar manuell, aber nach voll automatisierten Anweisungen 06 Dr. Michael Löken erklärt die Unterschiede zwischen optischen und magnetischen Drehgebern 04 05 06 96 DER KONSTRUKTEUR 10/2018

tragswesen lückenlos digitalisiert ist. Wir haben einen Weg gefunden, bei dem wir die Intelligenz der Fertigung aus den Köpfen der Mit arbeiter in unser System bringen konnten“, so Jörg Paulus. EIN FAST MAGISCHER PROZESS Von der Kölner Innenstadt fahren wir nun nach Aachen. Dort betreibt Posital Fraba seit 2011 sein Entwicklungszen trum für elektronische und mechanische Produkte. Heute arbeiten hier 40 Ingenieure und Techniker aus 20 Nationen, um innovative Produkte und fortschrittliche Technologien zu entwickeln. „Der Standort ist nicht zufällig gewählt, bietet Aachen doch mit seinen technischen Hochschulen die Voraussetzungen, um die besten Ingenieure für unser Unternehmen zu finden.“, freut sich Dr. Michael Löken, Leiter des Entwicklungszentrums, als er uns durch die Räume führt. Und auch hier entdecken wir wieder das schon bekannte Hotelkonzept – bis auf einen Raum: Über ein ausgeklügeltes Spulensystem windet sich der dünne Draht durch die Maschine. Für das Auge ist es kaum erkennbar, aber der aus der Legierung Vicalloy bestehende Draht hat seine Struktur in diesem aufwendigen Fertigungsprozess mit Kaltum formung und Tempern deutlich verändert. „Der in diesem Raum hergestellte Wiegand-Draht ist das Herzstück unserer heutigen magnetischen Multiturn-Drehgeber“, so Dr. Michael Löken. Der in Aachen produzierte Wiegand-Draht weist durch parallele weich- und hartmagnetische Bereiche eine Hysteresekurve mit ausgeprägten Sprungstellen auf. Die plötzliche Änderung der Magnetisierung verursacht in einer nahen Spule einen Spannungsimpuls, dessen Größe und Form nicht davon abhängt, wie schnell das äußere Magnetfeld sich ändert. Die US-Erfindung aus den 70er-Jahren, die auf John Wiegand zurückgeht, garantiert absolute Multiturn-Positionsmessungen – ohne Batterien und wartungfrei. „Die Technologie setzen wir seit 2005 ein. Wir waren damit erster Lizenznehmer des Erfinders, der die Wiegand-Energy-Harvesting-Technik für Drehgeber-Anwendungen nutzbar machte“, erklärt Dr. Michael Löken. Als das von John Wiegand gegründete US-Unternehmen HID 2012 das Produkt aufkündigte, entschloss sich das Führungsteam von Posital Fraba kurzerhand, die gesamte Technologie, inkl. Maschinen, Mustern, Anleitungen, usw. zu kaufen. „Auch die Wiegand-Bibel mit allen Rezepturen konnten wir übernehmen“, berichtet Dr. Michael Löken. So wurde eine Maschine nach Aachen verfrachtet, die zweite produziert heute am Fraba-Standort im amerikanischen Hamilton den besonderen Draht auf Hochtouren. „In Aachen dient sie in erster Linie der Forschung und Entwicklung. Wir wollen diesen beinahe magischen Prozess der Herstellung noch weiter erforschen und dadurch unsere Produkte noch besser machen. Die Technologie steht erst am Anfang. Zudem planen wir auch hier zu produzieren, denn als Alleinlieferant haben wir heute schon jede Menge Unternehmen, die den Wiegand-Draht von uns beziehen. So können wir eine zuverlässige Lieferkette garantieren“, freut sich Dr. Michael Löken auf eine spannende Zeit. EIN QUANTENSPRUNG Nur 15 mm lang und 0,25 mm dick – so wird der Wiegand-Draht schon seit vielen Jahren in die Posital Fraba-Sensoren eingebaut. 2005 kam so bereits die erste Serie von magnetischen Multiturn-Drehgebern auf den Markt. Zuvor hatte man mit Hochdruck an einer Alternative zur optischen, absoluten Positionserfassung gesucht. „Christian Leeser sagte damals zu mir: Der optische Drehgeber ist tot – wir sollten auf die magnetische Technologie setzen“, erinnert sich Jörg Paulus. Und er sollte Recht behalten, bieten diese Sensoren doch zahlreiche Vor- 07 Der Wiegand-Draht ist das Herzstück der magnetischen Multiturn-Drehgeber 08 Mit dem Produktfinder kann der Kunde innerhalb kürzester Zeit seinen optimalen Drehgeber konfigurieren teile und machten Posital Fraba zum Trendsetter unter den Encoder- Herstellern. Erst die Weiterentwicklung der Hall-Sensorik und immer leistungsfähigerer Mikrocontroller mit intelligenter Signalverarbeitung ebneten den Weg zu magnetischen Absolutwertgebern, die problemlos Auflösungen von 16 Bit mit einer Genauigkeit von 0,09° erzielen. „Treiber unseres Erfolgs sind heute völlig neue Produkte, wie unsere hochauflösenden magnetischen IXARC-Anbaudrehgeber oder die Kit-Encoder für Motorfeedback, mit denen wir den Markt technologisch aufgemischt haben und den Kunden eine Alternative zu aufwendigen und teuren optischen Abtastsystemen und klassischen Resolvern an die Hand geben konnten“, freut sich Jörg Paulus. SELBSTBEWUSST IN DIE ZUKUNFT An dieser Stelle endet unser Streifzug durch die Welt von Posital Fraba und die 100-jährige Firmengeschichte, aber nicht, ohne einen Blick in die Zukunft zu werfen, denn das Team von Christian Leeser hat viel vor: „Wir wollen auch beim Verkauf unserer Produkte ungewöhnliche Wege gehen. Dazu nutzen wir bereits Amazon, Conrad Elektronik und Mercateo, werden diese Absatzkanäle weiter ausbauen“, erklärt der Geschäftsführer. Und auf die Frage, ob man sich auch ein Beispiel an Google nehme, antwortet Christian Leeser selbstbewusst: „Wir haben unsere Ideen lange vor Google entwickelt und auch Industrie 4.0 hatten wir nie als Orientierungspunkt. Wir haben die Dinge losgetreten, die uns persönlich wichtig waren und das Gesamtkunstwerk Posital Fraba ins Spiel gebracht haben. Das wird auch in Zukunft so sein.“ Der Tag hat uns gezeigt, wie innovativ und „anders“ das Unternehmen ist. Dabei geht das Team in Sachen Firmenphilosophie und Technologieentwickung oft ungewöhnliche Wege. Aber genau dies macht das Kölner Unternehmen so besonders. Posital Fraba ist für künftige Herausforderungen bestens aufgestellt. Man wird weiterhin mit Ideenreichtum hochwertige Produkte für seine Kunden entwickeln und dabei immer im Spiel bleiben. *Es ist noch immer gut gegangen. www.posital.de DER KONSTRUKTEUR 10/2018 97