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DER KONSTRUKTEUR 10/2020

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DER KONSTRUKTEUR 10/2020

KONSTRUKTIONSELEMENTE

KONSTRUKTIONSELEMENTE TITELSTORY PRODUKTE UND ANWENDUNGEN BEIM ÖKODESIGN IST SOFTWAREUNTERSTÜTZUNG GEFRAGT Firmen, die umweltverträgliche Komponenten bieten, sind wertvolle Partner für den Konstrukteur. Aber nachhaltige Konstruktion ist eine komplexe Herausforderung mit unglaublich vielen Facetten: Recyclingfähigkeit, Regenerierbarkeit, biologische Abbaubarkeit der Rohstoffe, Material effizienz, Energieeffizienz im Betrieb, demontagegerechter Aufbau …. Das schreit doch förmlich nach Unterstützung durch Software. Und die gibt es bereits: Solidworks Sustainability von Dassault Systèmes. Das Tool misst die Umweltverträglichkeit von Konstruktionen über den ganzen Lebenszyklus des Produkts hinweg – einschließlich der Auswirkungen von Materialien, Herstellung, Montage, Transport, Verwendung und Entsorgung. MARTINA KLEIN, Stv. Chefredakteurin keit konnte dabei sogar noch leicht erhöht werden.“ Das spart nicht nur Material im Sinne der Ressourceneffizienz, sondern natürlich auch Energie im Betrieb. „Da steckt noch sehr viel drin, in dem Thema Ökodesign“, ist sich Frank Blase sicher, „auch in Verbindung mit 3D-Druck.“ Speziell in Bereichen wo Gewicht und Traglast eine entscheidende Rolle spielen, wie z. B. in der Low-Cost-Robotik, sieht der Firmen-Chef besonders große Potenziale. „Aber auch das ist – wie die Nachhaltigkeit insgesamt – ein Prozess. Man muss es sich immer wieder ins Gedächtnis rufen und immer wieder schulen.“ Ein weiterer ökologischer Vorteil der Antriebskomponenten aus Tribopolymeren ist ihr schmiermittelfreier Betrieb. Die Lager benötigen kein Öl oder Fett, also können auch keine dieser Kontaminationsstoffe in die Umwelt gelangen. Und das ist ein wichtiger Punkt, denn Forscher nehmen an, dass weltweit ca. 50 % der verwendeten, größtenteils erdölbasierten Maschinengleitmittel in Boden und Gewässer einsickern bzw. in die Atmosphäre gelangen (Quelle: Plant-oilbased lubricants and hydraulic fluids, Manfred P. Schneider). Außerdem sind die Bauteile aus Hochleistungspolymeren besonders verschleißfest und widerstandsfähig und daher langlebig. Auch das ist natürlich ein Aspekt, der den ökologischen Fußabdruck eines Produkts maßgeblich beeinflusst. 02 Die Energieeffizienz der Spritzguss-Maschinen steigern: Angelina Donner, Lean Ingenieurin Green Production bei Igus, zeigt, wo sie den Grünstift in der Produktion ansetzen will 03 Bei der neuen Energiekette E4Q wurden durch das bionische Bachkiesel-Design 10 % Gewicht eingespart, die Bruchfestigkeit konnte sogar noch leicht erhöht werden 04 Den Kreislauf schließen: Mit der Cat-HTR- Technologie wird aus Kunststoff wieder Erdöl LEBENSENDE Und wenn das Produkt dann das Ende seiner Lebensdauer erreicht hat, was passiert damit? Diese Frage hat Igus sich jetzt gestellt und daraufhin zwei Recycling-Programme gestartet. Das eine betrifft Kunststoff-Energieketten. Bislang ist es üblich, ausgediente Energieund Schleppketten von den Maschinen abzubauen und in Industriemüllcontainer zu werfen. Die Kunststoffe werden normalerweise anschließend verbrannt. Eine umweltfreundliche Alternative bietet das „igus green chainge recycling program“, das im Okotber 2019 ins Leben gerufen wurde. Anwender können dabei ihre ausrangierten, gereinigten Kunststoffketten an Igus schicken – und das völlig unabhängig vom Hersteller der Kette. Anschließend werden die Kunststoffe nach Materialtypen sortiert, gereinigt, geschreddert und verpackt. Danach können sie von Igus oder anderen Unternehmen für die Produktion hochwertiger technischer Produkte wiederverwendet werden. Der Kunde erhält im Gegenzug einen Igus-Gutschein in Höhe von derzeit 0,78 €/kg – das ist ein Marktpreis. Ob sich das rechnet? Frank Blase sagt: „Wenn der Kreislauf funktioniert, ja. Es hängt natürlich auch vom Ölpreis ab. Wenn der so niedrig ist, wie im Moment, dann liegt der komplette Recycling-Kunststoffmarkt am Boden. Die recycelten Kunststoffe sind teurer als die Neuwaren.“ Aber das darf und wird ja nicht dauerhaft so bleiben. Und für Igus zählt hierbei natürlich auch der Aspekt der Kundenbindung, schließlich wird das Geld in Form eines Gutscheins ausgezahlt. Bislang haben erst wenige Kunden an dem Programm teilgenommen und es wurden insgesamt ca. 5 t Energieketten recycelt. Die geringen Zahlen führt Frank Blase u. a. auf die Corona-Krise zurück: „Die Unternehmen hatten 2020 ganz andere Probleme. Wir hoffen, dass das noch anzieht. Es gibt aber Kunden, die das nutzen und sagen: ‚Prima, darauf habe ich gewartet!‘“ Das Thema Wiederverwertung ist dabei für Igus selbst nicht neu. Von Anfang an wurde der Anguss wieder in den Kreislauf zurückgeführt und heute werden bereits 99 % des in der Produktion anfallenden Kunststoffabfalls als Re-Granulat wiederverwertet. „Das Chainge-Programm ist jetzt der nächste wichtige Schritt Richtung nachhaltigen Wirtschaftens“, sagt Frank Blase. Igus will den Kreislaufgedanken so weit treiben, wie möglich. Bei so kleinen Teilen wie Lagern wird es mit dem Thema Rückführung allerdings schwierig werden. Wer baut schon ein winziges Kunst- 02 03 36 DER KONSTRUKTEUR 2020/10 www.derkonstrukteur.de

KONSTRUKTIONSELEMENTE stofflager aus einer Maschine aus, wenn sie ihr Lebensende erreicht hat? Und auch bei nicht-technischen Kunststoffen will Frank Blase aktiv werden. Deshalb hat er sich außerdem an dem spannenden Projekt „Plastic2Oil“ beteiligt. Einfach gesagt geht es darum, klassisch nicht recycelbare Kunststoffe chemisch zu recyceln, aus ihnen wieder Erdöl herzustellen. „Mitte letzten Jahres bin ich in einem Artikel der FAZ auf die Catalytic-Hydrothermal-Reactor-Technologie – kurz: Cat-HTR – aufmerksam geworden und habe mit dem deutschen Erfinder Professor Thomas Maschmeyer in Sydney den Kontakt aufgenommen.“ Sieben Monate später, nach intensiven Recherchen, investierte Igus vier Millionen Britische Pfund (4,7 Millionen Euro) in die Mura Technology Limited und damit auch in den Bau der ersten Cat-HTR-Anlage in Wilton/Großbritannien. Im Vergleich zu dem Wettbewerbsverfahren, der Pyrolyse, weist die Cat- HTR-Technologie laut ihrem Erfinder zwei bedeutende Vorteile auf: Mit ihr lassen sich auch unsortierte Kunststoffabfälle umwandeln und zwar mit relativ geringem Energieaufwand. Die Herstellung des synthetischen Erdöls soll so ressourcenschonender sein als die Gewinnung fossiler Erdöle. Lediglich Wasser, hohe Temperaturen und Druck werde für das Trennen und Neuverbinden der Zellen eingesetzt – so Maschmeier. Frank Blase erklärt: „Nachdem die Technologie über zehn Jahre in einer Pilotanlage in Australien getestet wurde, geht es nun darum, eine Anlage im großen Stil zu bauen und Erfahrungen zu sammeln. Langfristig könnten wir uns z. B. vorstellen, uns mit daran zu beteiligen, dass irgendwann in Nordrhein-Westfalen so eine Anlage gebaut wird. Wichtig ist, dass Firmen da sind, die den Ausgangsstoff liefern und solche, die das synthetische Erdöl abnehmen.“ Eine langfristige Vision, bei der es auch auf Zusammenarbeit in der Industrie ankommt. „Im Moment ist das erstmal eine reine Finanzentscheidung, eine Investition“, schließt Frank Blase ab. Eine faszinierende Idee, denn so würde Erdöl quasi zum nachwachsenden Rohstoff … ROLLE DER KONSTRUKTION Bei dem Thema Recycling ist normalerweise der Betreiber gefragt, da er die Teile am Ende ihrer Lebensdauer in seiner Obhut hat. „Wir erhoffen uns, dass sich hier irgendwann Modelle ergeben werden, bei denen der Maschinenbauer seinen Kunden ein Recycling-Paket 04 anbietet, nach dem Motto: Wenn Du die Maschine stilllegst, sag uns Bescheid – wir sorgen dann für sortenreines Recycling“, spekuliert Frank Blase. Letztendlich sind alle Beteiligten gefragt. Der Kon s - trukteur ist dabei in einer besonderen Rolle. Denn schon bei der Entwicklung muss er ans Ende denken. Er muss berücksichtigen, ob Komponenten recycelbar sind. Und nicht nur im Hinblick auf Wiederverwendung, sondern insgesamt ist Nachhaltigkeit ein Thema, das – wie so vieles – in der Konstruktion beginnen und auch dort schon zu Ende gedacht werden muss. „Wir können Konstrukteure bei der Entwicklung nachhaltiger Lösungen unterstützen“, sagt Frank Blase. „Ja, wir haben ein grünes Lager, das zu 54 % aus nachwachsenden Rohstoffen besteht im Programm. Und wir bieten Energiekettenrecycling an. Aber womit wir dem Konstrukteur wahrscheinlich am meisten helfen, sind unsere Berechnungstools.“ Igus hat über 30 Berechnungsprogramme für seine unterschiedlichen Produktgruppen entwickelt, die Konstrukteuren verlässliche Aussagen zu Lebensdauer und Belastbarkeit der einzelnen Komponente an die Hand geben. „Seit 2001 haben wir die Gleitlager-Lebensdauerberechnung. Bis heute ist kein Fall an NACHHALTIGKEIT MUSS IN DER KONSTRUKTION BEGINNEN uns herangetragen worden, in dem der Kunde gesagt hat: ‚Ich habe das berechnet, und jetzt klappt es nicht‘. Wir haben einen großen Aufwand betrieben, um unsere Kunststofflager zu einem wirklich berechenbaren Maschinenelement zu machen, auf das man bauen kann.“ Und das nicht ohne Grund. „Die Vorbehalte vieler Maschinenbauer gegenüber Antriebselementen aus Kunststoff sind immer noch da“, berichtet Frank Blase. „Aber wir haben viele Beweise dafür, dass der Einsatz unserer Kunststoffe gegenüber Metall, geschmiertem Metall, in ganz vielen Fällen wirklichen Nutzen bringt“, sagt Frank Blase. „Kostennutzen, technischen Nutzen und ökologischen Nutzen. Und wenn es das nicht tut“, ergänzt er, „dann muss man das natürlich auch sagen und anerkennen. Aber aus meiner Sicht liegt hier noch ein großes Potenzial, in der Substitution von Metallen durch Kunststoff, in der Gewichtsersparnis, dem Wegfallen von Schmierstoffen etc.“ AUF DEM WEG Der visionäre Firmenchef hat übrigens nicht auf alles eine Antwort – noch nicht! „Ein Problem, das wir noch nicht gelöst haben, ist das Thema Mikroabrieb. Und das betrifft uns natürlich auch, unsere Komponenten haben ja Abrieb. Wir müssen schauen, wie man diesen minimiert oder auffängt, oder, oder, oder.“ Frank Blase bekräftigt: „Wir wollen das ganzheitlich angehen, aber wir fangen ja gerade erst an. Wir können nicht alle Probleme auf einmal lösen.“ Der Igus Geschäftsführer, der von sich selbst sagt, er sei „neu-gierig“ sieht das so: „Man muss sich auf den Weg begeben. Oft kommen dann unterschiedliche, teils unerwartete Lösungen heraus. Vielleicht gibt es irgendwann auch einen ganz neuen Werkstoff, wer weiß ...?“ Er hofft auch auf eine Kettenreaktion: „Wir wollen einfach versuchen, ob in dem Thema Nachhaltigkeit etwas drinsteckt. Und wenn da etwas drinsteckt, dann glaube ich, dass die Kunden das auch bei anderen Firmen nachfragen werden.“ Frank Blase hat sich mit Igus jedenfalls auf den Weg gemacht, das Thema Nachhaltigkeit zu Ende zu denken und etwas zu bewegen. Man darf gespannt sein, wo die Reise hingeht … Bilder: igus GmbH www.igus.de www.derkonstrukteur.de DER KONSTRUKTEUR 2020/10 37