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DER KONSTRUKTEUR 6/2019

DER KONSTRUKTEUR 6/2019

SOFTWARE & PROTOTYPING

SOFTWARE & PROTOTYPING KONSTRUKTION GUT IN SZENE GESETZT PRODUKTE UND ANWENDUNGEN Opern und CAD – auf den ersten Blick eine überraschende Kombination. Tatsächlich haben Opernhäuser und Theater praktisch immer eine Abteilung, die Bühnenbilder und -aufbauten konstruiert. Die Konstruktionsabteilung der Dresdener Semperoper nutzt für die Entwicklung Ihrer Aufbauten eine individuell angepasste 3D-Konstruktionssoftware. Die Semperoper in Dresden fiel 1869 einem Brand und 1945 schweren Luftangriffen zum Opfer. Der Wiederaufbau in Form des heutigen, dritten Baus wurde 1977 begonnen und 1985 fertiggestellt, wobei Zuschauerraum sowie die Bühne erweitert wurden. Die Sächsischen Staatstheater beschäftigten etwa 1 100 Mitarbeiter, die an Oper und Schauspiel arbeiten. Den Boden der Bühne bilden 16 bewegliche Podien, die einzeln nach oben und unten gefahren und gekippt werden können – zusätzlich lässt sich eine Drehscheibe einbauen. Diese Podien und die Drehscheibe bilden das Fundament der Bühnenbauten, weitere Kulissen lassen sich aus dem Schnürboden von oben ins Sichtfeld fahren, ein sogenannter Bühnenprospekt bildet den Hintergrund des Bühnenbilds. KONZEPT FÜR DAS TÄGLICHE HANDLING Die Werkstätten, in denen die Bühnenbilder angefertigt werden, sind einige hundert Meter von der Bühne entfernt, zudem ist die Bühne im ersten Stock und per Aufzug zu erreichen. Die Größe des Autor: Dipl.-Ing. Ralf Steck, freier Fachjournalist, Friedrichshafen Aufzugs limitiert die Größe der Bauteile der Bühnenbildkonstruktion auf etwa 7 × 2,5 × 2,5 m. Gleichzeitig müssen die Bühnenbilder schnell und zuverlässig auf- und abgebaut werden, wie Konstruktionsleiter Paul Radicke erläutert: „Auf der Bühne der Semperoper wird fast jeden Abend ein anderes Stück gespielt oder ein Konzert gegeben, sodass das Bühnenbild fast jeden Tag neu aufgebaut werden muss. Morgens finden Proben statt, erst danach haben die Bühnenarbeiter Zeit, das Bühnenbild des Abends aufzubauen. Das stellt hohe Anforderung an die Konstruktion, die Teile müssen schnell zusammenzufügen, mit der Hand zu bewegen und robust genug für das tägliche Handling sein. Und dabei noch den künstlerischen Ansprüchen entsprechen.“ Konstrukteur Raphael Gwosch ergänzt: „Das Bühnenbild ist nicht nur ein Hintergrund, sondern sehr oft auch Schauplatz. Die Bauten müssen oft das Gewicht mehrerer Menschen aufnehmen – und dass nach jedem Aufbau wieder zuverlässig.“ An der Sächsischen Staatsoper werden dazu spezielle Steckverbinder und Verschraubungen, bei denen Schraube und Mutter unverlierbar eingebaut sind, verwendet. Die Bühnenbilder bestehen aus einer Vielzahl von Materialien: Bemalter Stoff bildet oft die Oberfläche, die tragende Konstruktion bilden mit Sperrholzplatten beplankte Gestelle. Gwosch weiter: „Früher war Holz der Werkstoff der Wahl, heute kommen immer mehr Fachwerkgestelle aus Stahlrohr zum Einsatz, das ist stabil, schnell gebaut und preiswert.“ REGIEANWEISUNGEN AN DEN KONSTRUKTEUR Eine Besonderheit der Konstruktionsarbeit an der Oper ist, dass die Vorgaben von einem Regieteam kommen, das sich der Kunst verpflichtet sieht – der Konstrukteur ist gefordert, Umsetzungsmöglichkeiten für die Ideen der Künstler zu finden, die zunächst einmal ohne Rücksicht auf die technische Umsetzung an die Inszenierung herangehen. Das Regieteam, bestehend aus den Verantwortlichen für Regie beziehungsweise beim Ballett für Choreografie, Bühnenbild, Kostüm, Licht und immer öfter auch Video, entwickelt gemeinsam eine Inszenierung, die auch ein Bühnenbild umfasst. Dieses wird üblicherweise als Modell, ergänzt von vielen Skizzen, visualisiert. 44 DER KONSTRUKTEUR 6/2019

01 02 Nach ersten Ideen der Konstruktion wird etwa ein Jahr vor der Premiere eine Bauprobe gemacht, dabei wird das zukünftige Bühnenbild mit Ersatzmaterial, beispielsweise abgespielte Dekorationen, auf der Bühne markiert. So lassen sich die Positionierung auf der Bühne, die Orte, an denen Schauspieler die Bühne betreten, aber auch die Sichtachsen des Publikums realistisch beurteilen. Zudem wird bei beweglichen Bühnenbildern eine erste Lösung diskutiert, wie diese angetrieben werden – oft bewegt die eingebaute Maschinerie die Szenerie, oft kommen aber auch Sonderantriebe zum Einsatz. Der Bühnenbildner liefert dann eine Layoutskizze im DWG-Format, auf deren Basis die Konstruktion entsteht. Es folgen 01 Teil des Bühnenbildes der Inszenierung „Königskinder“ (links: in Creo, rechts: Aufbau im Original) 02 Die Bauten sind nicht nur Hintergrund, sondern auch Schauplatz und müssen oft das Gewicht mehrerer Menschen aufnehmen den eigenen Werkstätten läuft teils parallel, teils nach Ende der Konstruktion. Radicke verdeutlicht: „Wir setzen künstlerische Entwürfe vom Modell in die Realität um, das ist etwas völlig anderes als der normale Maschinenbau. Uns stellen sich dann plötzlich Fragen wie die, wie man bei einem Bodenbelag innerhalb kürzester Zeit die Farbe wechselt – wir haben es mit einer Wickelmaschine gelöst, haben aber BEI BEWEGLICHEN BÜHNENBILDERN KOMMEN OFT SONDERANTRIEBE ZUM EINSATZ Besprechungen mit der Bühnentechnik und den Werkstätten, in denen die Umsetzung des Modells in die Realität diskutiert werden. Dabei werden auch Aspekte wie der Brandschutz oder die Beleuchtung, aber eben auch die Aufteilung zum Aufund Abbau festgelegt. Dann beginnt die 3D-Konstruktion in Creo, für die Zeit ist bis vier Monate vor Premiere. Die Fertigung in auch über temperaturaktive Folien nachgedacht. Solche Herausforderungen machen den Job jeden Tag aufs Neue interessant.“ Vier Wochen vor der Premiere wird das gesamte Bühnenbild erstmals auf der Bühne aufgebaut und die letzten drei Wochen vor der Premiere vergehen mit Proben und letzten Anpassungen. Der Durchsatz ist hoch, wie Radicke erläutert: „Wir haben DER KONSTRUKTEUR 6/2019 45 Rotor Clip.indd 1 06.03.2019 18:15:43