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DER KONSTRUKTEUR 9/2020

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DER KONSTRUKTEUR 9/2020

WERKSTOFF- &

WERKSTOFF- & VERBINDUNGSTECHNIK FREI VON ALTEM BALLAST Leichtbau, das ist mehr als die Substitution von schweren durch leichte Werkstoffe. Das Gebot der Stunde lautet Konzeptleichtbau. Denn wer sich beim Engineering und der Entwicklung frei von altem Ballast macht, der kann Produkte ganz neu denken und so erhebliche Kosteneinsparungen realisieren – ohne teure Materialien oder komplexe Fertigungsprozesse. PRODUKTE UND ANWENDUNGEN Die Potenziale des konventionellen Leichtbaus, bei denen man schwere Materialien wie Stahl beispielsweise durch Aluminium und Carbonfasern ersetzt, sind in vielen Branchen weitgehend ausgeschöpft. Daher muss man einen Schritt weiter gehen und den Leichtbau anders verstehen und denken. Aber wie? Die Antwort lautet: Konzeptleichtbau. Was zunächst etwas sperrig klingt, ist jedoch einfach erklärt: Es geht darum, ein Produkt wirklich von Grund auf als Ganzes neu zu denken. Welche Funktionalität ein Produkt genau erfüllen muss und wie Design und Konstruktion dann aussehen müssen, um diese identifizierten Funktionen zu erfüllen – das ist die grundlegende Philosophie des Konzeptleichtbaus. MEHRWERT FÜR DEN MASCHINENBAU Die Studie „Mit Konzeptleichtbau ungenutzte Potenziale heben“ der Leichtbau BW GmbH hat den ökonomischen und ökologischen Nutzen des Konzeptleichtbaus untersucht. Der Fokus der Studie liegt auf dem Mobilitätssektor und neuen Fahrzeugkonzepten, doch eines der sechs untersuchten Fallbeispiele beschäftigt sich mit der konkreten Anwendung des Konzeptleichtbaus im Maschinenbau. Denn dass Leichtbau als großen Mehrwert nicht nur leichtere, sondern aus Anwendersicht auch bessere Produkte bedeutet, hat das Projekt „Potenzialfindung – Kosten- und Gewichtseinsparungen durch Leichtbau bei Werkzeug- und Verarbeitungsmaschinen“ (PoKoGe Le) gezeigt. In diesem Projekt ging es um die Frage, wie man mit leichtbaugerechten Konstruktionen die Herstellungskosten sowie das Gewicht einer Maschine senken kann, dabei Ressourcen schonen und gleichzeitig auch die Funktion der Maschine optimieren kann. Autor: Dr. Wolfgang Seeliger, Geschäftsführer Leichtbau BW GmbH, Stuttgart Gerade im Hinblick auf die Produktivitätsanforderungen unterliegen Werkzeug- und Verarbeitungsmaschinen einem hohen Kostendruck. Die Arbeitsgeschwindigkeit der jeweiligen Maschine hängt dabei unzertrennlich mit der Masse der bewegten Teile zusammen. Der Wettbewerbsdruck erfordert immer bessere und preiswertere Produkte – mit Leichtbau lässt sich beides realisieren. PRODUKTIVITÄT RAUF, KOSTEN RUNTER Um für die Praxis Ergebnisse ableiten zu können, wurden bei PoKo- GeLe für zwei konkrete Fälle aus der Industrie Optimierungspotenziale erarbeitet – unter anderem war die Firma Wilhelm Bahmüller Maschinenbau Präzisionswerkzeuge GmbH aus Plüderhausen einer 01 34 DER KONSTRUKTEUR 2020/09 www.derkonstrukteur.de

WERKSTOFF- & VERBINDUNGSTECHNIK 01 Für den Schlitten, der die Produktstapel innerhalb der Maschine bewegt, wurde das größte Potenzial zur Optimierung der Funktion der Maschine ermittelt 02 Vor (oben) und nach (unten) der Optimierung: Die Wellpappen- Verarbeitungsmaschine kann nach der Optimierung schnellere Zykluszeiten fahren, da sie weniger anfällig für Schwingungen ist und durch die reduzierte bewegte Masse im Betrieb auch deutlich weniger Energie verbraucht 02 der Industriepartner. Hier wurde eine Wellpappen-Verarbeitungsmaschine unter die Lupe genommen: In der Maschine gibt es einen Schlitten, der die Produktstapel im zyklischen Start/Stopp-Betrieb innerhalb der Maschine bewegt. Für diese Bauteilgruppe wurde das größte Potenzial zur Optimierung der Funktion der Maschine ermittelt. Dank Anwendung mehrerer Leichtbau-Prinzipien konnten enorme Einsparungen realisiert werden: Um 25 % konnten die Herstellungskosten der Wellpappen-Verarbeitungsmaschine gesenkt werden. Die Masse an bewegten Teilen mitsamt der Antriebskom ponenten fällt im Vergleich zur ursprünglichen Konstruktion um etwa 50 % niedriger aus – und da nun auch deutlich weniger Masse bewegt werden muss, erwarten die Konstrukteure im Betrieb eine Energieeinsparung von rund 40 %. SCHNELLERE ZYKLUSZEITEN Durch die Verringerung des Gewichts konnte als Sekundäreffekt auch die Masse des Rahmengestells verringert werden. Da das Gestell die Schwingungen aufnehmen muss, die im Betrieb der Maschine entstehen, mussten hierbei besondere Anforderungen im MIT KONZEPTLEICHTBAU KÖNNEN NICHT NUR LEICHTERE, SONDERN AUCH BESSERE PRODUKTE ENTSTEHEN Hinblick auf die Steifigkeit des Gestells beachtet werden. Dank der Verringerung der bewegten Masse ist die Maschine im Betrieb nun auch weniger anfällig für Schwingungen. „Dadurch sind höhere Beschleunigungswerte möglich, wodurch spürbar schnellere Zykluszeiten gefahren werden können. Somit erhöht sich auch der Maschinenausstoß“, erklärt Thomas Stober, Konstruktionsleiter Mechanik bei Wilheilm Bahmüller den Mehrwert für den Anwender. „Außerdem habe man durch die geringere bewegte Masse auch kleinere Motoren verbauen können und der Energieverbrauch sei so spürbar reduziert worden“, erklärt Stober. EINSPARUNGSPOTENZIALE IM MASCHINENBAU Das PoKoGeLe ist ein Gemeinschaftsprojekt des Instituts für Konstruktionstechnik und Technisches Design (IKTD) der Universität Stuttgart, des Deutschen Zentrums für Luft und Raumfahrt (DLR) in Stuttgart und dem Fraunhofer Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA. Es stand unter der Förderung des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg. Die Leichtbau BW war Kooperationspartner des Projekts und hatte die Schirmherrschaft inne. Bei PoKoGeLe wurde ein neuartiger, ganzheitlicher und interdisziplinärer Ansatz entwickelt mit dem Ziel, innovative Leichtbau- konzepte zu realisieren. Basierend auf einer systematischen Verwendung und Integration von Leichtbauansätzen entlang des gesamten Produktentwicklungsprozesses konnte so eine signi fikante Massereduktion realisiert werden, die nahezu vollständig dem Konzeptleichtbau zuzuordnen ist. Dieses Fallbeispiel zeigt, dass neben dem Mehrwert durch Leichtbau in der Betriebsphase – etwa durch Energieeinsparung – auch Kostenpotenziale im Bereich der Produktentwicklung und Produktion zu heben sind. Geht man zum Beispiel von einem Umsatzvolumen in Deutschland von 297 Mrd. EUR Maschinenbau aus und ließe sich durch Konzeptleichtbauansätze nur eine Kosteneinsparung von 2 % vom Umsatz realisieren, entspräche dies einem jährlichen Marktpotenzial in Deutschland von fast 6 Mrd. EUR (konservative Einschätzung auf Basis der für die Studie verwendeten Quellen). Bilder: Aufmacher: Artyom Yefimov – stock.adobe.com; 01: Leichtbau BW GmbH; 02a+b: WILHELM BAHMÜLLER Maschinenbau Präzisionswerkzeuge GmbH www.leichtbau-bw.de LEICHTBAU INNOVATION CAMP 2020 Das Leichtbau Innovation Camp 2020 bietet am 9. und 10. November 2020 in Stuttgart eine Plattform für fachlichen Austausch und Kontaktmöglichkeiten. Es gibt spannende Sessions mit Vorträgen und interaktiven Formaten wie Camps, Round Tables oder einem Speed Geeking zu Trend-Themen wie Additive Manufacturing, Future Textiles, internationalen (Leichtbau-)Märkten oder digitalen Prozessketten für eine CO 2-neutrale Produktion. Teilnehmer können sich online ihr persönliches Programm zusammenstellen. Die Veranstaltung dockt zeitlich und örtlich an die Messe Composites for Europe an, die vom 10. bis 12. November auf dem benachbarten Messegelände ihren Pforten öffnet. Dort gibt es für Teilnehmer des Camps eine spezielle „Highlight-Tour“ mit Fokus auf verschiedenen Anwendungsindustrien. Mehr unter: www.leichtbau-technologietag.de www.derkonstrukteur.de DER KONSTRUKTEUR 2020/09 35