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DER KONSTRUKTEUR 02/2025

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DER KONSTRUKTEUR 02/2025

ANTRIEBSTECHNIKROTIERENDESHAUS IN DER PFALZGELANDETGebäude der Sonne nachführen und den ganzenTag wechselnde Ausblicke genießen: Sich drehendeHäuser machen es möglich. In der Pfalz wurdenun ein solches Haus nach den Ideen undausgeklügelten Konstruktionen einesBauherrenpaares als begrüntes Holzhaus gebaut.Im Zentrum an der Basis setzt einStirnradgetriebemotor die bis zu 180 t desGebäudes in Bewegung und ermöglicht so eine360-Grad-Drehung. Das Projekt zeigt, wieindustrielle Antriebstechnik auch in anderenBereichen wie der kinetischen Architektur fürneuartige Wohnkonzepte fruchtbar gemachtwerden kann. Durch ein nachhaltigesEnergiekonzept ist das Pfälzer „Ufo“ acht Monateim Jahr energieautark.PRODUKTE UND ANWENDUNGENSeit seiner Kindheit begeistert sich Olaf Schiwek für die Natur,das Konstruieren von Gebäuden auf dem Papier undfür den Flugzeugbau. Der schonende und effiziente Ressourceneinsatzliegt dem Lehrer für Geografie und Biologieam Herzen. Warum er nicht Architektur studiert habe? „Dannhätte ich kubisch bauen müssen – und das wollte ich nie!“, sagt er.„Runde Gebäude haben mich schon immer fasziniert.“ Klar, dassauch sein privates Wohnhaus ein Rundbau werden sollte. In derStadt, wo er mit seiner Partnerin zunächst auf Grundstückssucheging, stieß er damit auf wenig Begeisterung. Zu abgefahren seidie ufo-ähnliche Konstruktion, hieß es vor allem seitens desBauamtes.Das Paar ließ sich jedoch nicht beirren. Eher zufällig fiel ihnenbei einem Spaziergang in Winterborn südlich von Bad Kreuznachein Grundstück auf, das zum Verkauf stand. Die Ortsgemeindeim rheinland-pfälzischen Donnersbergkreis hat rund 170 Einwohner.Das Paar konnte Bürgermeister und Gemeinderat einstimmigfür ihr Projekt „drehbares Haus“ gewinnen.VON MÄRZ BIS OKTOBERENERGETISCH AUTARKDas Haus dreht sich in 24 h einmal um die eigene Achse. Mit demAntrieb von SEW-Eurodrive ist jedoch auch eine Umdrehung inAndrea Balser, Referentin Fachpresse, SEW-Eurodrive, Bruchsalder Stunde möglich. Doch wozu überhaupt ein drehbares Hausbauen? „Wegen des Wohnwertgewinns“, erläutert Olaf Schiwek.„Wenn ich beim Frühstück sitze, kann ich entscheiden, ob ich denBlick in die Ferne zu den Windrädern schweifen lasse oder ob ichlieber in Richtung des begrünten Hangs schaue.“Durch die Drehung können die Kollektoren auf dem Dach derSonne nachgeführt werden und so Strom erzeugen. Der Speicherreicht für einen Tag. Wenn er voll ist, fließt die überschüssigeEnergie in einen 1.000-Watt-Heizstab zur Heißwasserversorgungfür die Dusche, Spülmaschine und sonstige Warmwasserverbraucher.„Dadurch sind wir hier von März bis Oktober energetischautark“, erklärt Schiwek, „dazwischen heizen wir bei Bedarfmit einem Holzofen.“GERINGE BODENVERSIEGELUNGEine Metallbaufirma gab Schiwek den Tipp, dass ein Drehkranvon der Konstruktion her sehr ähnlich dem sei, was er als Unterbaudes drehbaren Hauses brauche. Kräne beherrschen Kräfte ineiner Kugel-Dreh-Verbindung. Schiwek nahm darum Kontakt zurWilbert Tower Cranes GmbH auf. Ihr damaliger Senior-Chef warvon der Idee sofort begeistert und sicherte eine bezahlbare Lösungzu. Wilbert stellte das zentrale Bauwerk zur Krafteinleitungins Kugellager her, die sogenannte Stahlkrone. Dabei kam es aufhöchste Präzision bei den Schweißarbeiten an – kein Problem füreine Kranbaufirma. Den eingesetzten Zahnkranz von Liebherrfindet man üblicherweise am Flügel einer Windkraftanlage. Dergesamte Unterbau für das drehbare Haus findet Platz auf einemFundament von etwa 5 m 2 . Dadurch muss weniger Boden versiegeltwerden, was nachhaltig ist.16 DER KONSTRUKTEUR 2025/02 www.derkonstrukteur.de

ANTRIEBSTECHNIK0101 Das Haus dreht sichin 24 Stunden einmal umdie eigene Achse, kannjedoch auch innerhalb von30 Minuten eine halbeUmdrehung vollführen02 Wohnbereichdes Hauses mitdrehbarer Aussicht02KLEINER ANTRIEB – GROSSER DREHEs kommt nicht oft vor, dass von einem SEW-Motor derart niedrigeUmdrehungszahlen gefordert werden. Die geringe Geschwindigkeitvon einer Umdrehung in 24 h stellte die Techniker vonSEW-Eurodrive vor eine kleine Herausforderung. Es wurde eindreiphasiger Stirnrad-Doppelgetriebe-Asynchronservomotorausgewählt, der mit einer hohen Gesamtübersetzung aus insgesamtsechs Getriebestufen das Haus in Bewegung bringt. In Verbindungmit dem passenden Frequenzumrichter Movidriveergibt sich ein für die Anwendung optimiertes Antriebssystem.Über den gesamten Drehzahlbereich wird somit eine größtmöglicheLaufruhe erreicht. Er ist in einem Schaltschrank in der Nähedes Getriebemotors – im Keller des Gebäudes – verbaut.Eine regionale Elektrofirma übernahm den Einbau und die Inbetriebnahmeder Antriebstechnik. Später stellte sich heraus,dass aufgrund von Motorgeräuschen einige Umrichterparametergeändert werden müssen. Der Bauherr wandte sich an den Servicevon SEW-Eurodrive im technischen Büro Rhein-Main. VertriebsingenieurCarlo Grauel reagierte prompt und beauftragteeinen Serviceingenieur in Bruchsal. Per Fernwartung optimierteer die Reglereinstellungen zur vollen Zufriedenheit.NACHHALTIGE BAUMATERIALIENZum Eingang des Hauses gelangt man über eine sanft ansteigendeRampe, auf der Holzhackschnitzel ausgelegt sind. Sie habenden Vorteil, dass Regenwasser im Boden versickern kann und dieSchuhe weitestgehend sauber bleiben. Beim Betreten des Hausessteigt einem der angenehme Duft von Holz in die Nase. Innen istes behaglich – das gesamte Gebäude ist aus Holz gebaut. Die Basisdafür sind abgerundete Holzbalken, für die die Bauherrschafterst bei der Firma Rubner in Österreich fündig wurde. Die Innenverkleidungbesteht aus OSB-Holzleichtbauwänden mit zweiProzent Leimanteil. Für OSB-Platten (oriented strand board)werden Hölzer zerspant, beleimt und durch Pressung in Grobspanplattenverwandelt. Anschließend wurden die Wände auftraditionelle Weise mit Lehm verputzt, gekalkt und danach mitEisenoxid als Pigment versehen. So entstand eine stark alkalischeWand, auf der weder Bakterien noch Pilze eine Chance haben.EFFIZIENTE WARMWASSERVERSORGUNGAuf der ersten Ebene befindet sich eine offene Küche, die mit einemVorratsraum verbunden ist. Hier ist der 1.000 l fassendeWasserspeicher eingebaut. An den gemütlichen Essplatz mit Ausblickschließt sich das Wohnzimmer an. Beheizt wird es durcheinen innovativen, wasserführenden Kaminofen mit Holzvergaserbrenntechnik.Ein Schlaf- und ein Gästezimmer sowie ein geräumiges Badkomplettieren die Einrichtung dieses Stockwerks. Über eine Wendeltreppegelangt man in die obere Etage, auf der sich weitereZimmer befinden. In einer Freizeitecke kann man hier zum Beispieldurch die Dachfenster die Sterne betrachten. Das Haus bietetausreichend Platz für zwei Erwachsene und mehrere Kinder.EIN BLICK IN DEN MASCHINENRAUMVor dem Holzofen befindet sich eine gläserne Funkenschutzplatte,durch die man in das Untergeschoss des Hauses blicken kann,www.derkonstrukteur.de DER KONSTRUKTEUR 2025/02 17