SPECIAL WERKZEUGMASCHINEN MIT DIGITALER SPINDELTECHNOLOGIE IN DIE OFFENSIVE INTERVIEW PRODUKTE UND ANWENDUNGEN Auf der EMO Hannover 2023 will der Maschinenbauer GMN im Rahmen seiner Innovationsoffensive für eine digitale Spindeltechnologie mehrere Neuheiten präsentieren. Darunter sind auch zwei mithilfe von Low-Code selbst entwickelte webbasierte Applikationen: eine Vertriebs- und Kundenplattform sowie ein Anwender- Modul zur Online-Berechnung von Spindeln. Im Interv iew mit Dr. Jens Falker, Engineeringleiter Spindeltechnik, und Dieter Weiss, Vertriebsleiter, beide bei der GMN Paul Müller Industrie GmbH & Co. KG, haben wir diese genauer unter die Lupe genommen. Die Neuheiten sind Teil einer GMN-Innovationsoffensive zur Digitalisierung der Spindeltechnologie. Was ist damit gemeint? Dr. Falker: Die Transformation der Maschinenbauer vom reinen Produktanbieter zum Lösungsanbieter für die Fertigungsherausforderungen ihrer Kunden ist ein zentraler Trend in der Entwicklung der Werkzeugmaschinen-Branche. Diesen Weg gehen wir mit unserer Innovationsoffensive. Die webbasierte Vertriebs- und Kundenplattform – die GMN-App – sowie das Dr. Jens Falker, Engineeringleiter Spindeltechnik (rechts), und Dieter Weiss, Vertriebsleiter, beide GMN Paul Müller Industrie GmbH & Co. KG, Nürnberg Online-Berechnungsmodul SpiOnline zur Optimierung der Spindelperformance sind zwei Etappen auf dieser Strecke. Digitalisierung und Automatisierung spielen dabei eine wichtige Rolle. Denn die Voraussetzung für die gesamte weitere Entwicklung ist die digitale Vernetzung aller Einzelkomponenten, die dann mit allen anderen Einheiten kommunizieren können. Das ist die notwendige Infrastruktur für Industrie 4.0. Den ersten Schritt auf diesem Weg sind wir 2019 gegangen, als wir auf der EMO erstmals GMN-Spindeln vorgestellt haben, die 44 DER KONSTRUKTEUR 2023/09 www.derkonstrukteur.de
SPECIAL WERKZEUGMASCHINEN IIoT-ready – und somit vernetzbar – sind. Sie ermöglichen den Einstieg in die Digitalisierung der Fertigung. Herzstück ist das von uns entwickelte Embedded-System IDEA-4S, die integrierte Datenerfassung und Auswertung für Spindeln. Weiss: Die zentrale Vernetzung im Sinne der Industrie 4.0. wird der gesamten spanabhebenden Industrie einen gewaltigen Produktivitätsschub geben. Denn sie hilft dabei, die technischen Potenziale der Anlagen und Komponenten besser auszunutzen. Die GMN-App bietet jedem unserer weltweiten Nutzer ortsunabhängig einen permanenten Zugriff auf sämtliche aktuelle Informationen, die unsere Zusammenarbeit betreffen. Sie sorgt für eine transparente Kommunikation und beschleunigt die Interaktion zwischen GMN und seinen Kunden. Zusätzlich ermöglicht das Online-Berechnungsmodul SpiOnline bereits im Engineering einen digitalen Zwilling der Spindel bei der Prozessauslegung zu berücksichtigen. So kann das Betriebsverhalten von Spindel und Werkzeug optimal auf den Prozess abgestimmt werden. Die messbaren Vorteile sind vielfältig: ein schnelleres Engineering, eine schnellere Anlagen-Inbetriebnahme, eine verbesserte Spindelauswahl, die Optimierung des Werkzeugeinsatzes, effizientere Prozesse mit verringerten Kosten, einer verbesserten Qualität und einer höheren Gesamtanlageneffektivität sowie ein sicherer Betrieb der Werkzeugmaschinen. Für wann ist die Einführung geplant? Dr. Falker: Wir werden unsere GMN-App in fünf Schritten einführen. Offizieller Startschuss ist die Bekanntgabe auf der EMO 2023, der Abschluss wird voraussichtlich Ende 2024 sein: 1. Bereits im Vorfeld der Messe hat ein Kreis von Vertriebspartnern Zugang zur Vertriebs- und Kundenplattform erhalten. Wenn sie sich in die App einloggen, können sie den Echtzeitstand von Bestellungen, Aufträgen und Reparaturen überprüfen und die Daten zu sämtlichen GMN-Produkten abrufen. 2. Zur EMO gewähren wir ausgewählten Partnern dann Zugang zu unserem Online-Berechnungsmodul SpiOnline. Dort stehen den Nutzern die Modelle ihrer GMN-Spindeln zur Verfügung. Mit dem Modul können die Anwender den Einsatz von Spindel und Werkzeug für eine bestimmte Zerspanungsaufgabe optimieren. Sie können entweder für eine vorhandene Spindel das beste Werkzeug suchen und die Werkzeuggeometrie optimieren, um beispielsweise einen bestimmten Drehzahlbereich zu erreichen und so ein optimales Bearbeitungsergebnis zu erzielen. Oder sie geben die Daten des Werkzeugs ein und ermitteln die beste Spindel für den geplanten Bearbeitungsprozess. Zu den Erstanwendern gehören neben unseren Vertriebspartnern verschiedene Referenzkunden, darunter mehrere Maschinenhersteller. 3. Anfang 2024 soll schließlich das Berechnungsmodul für unsere Premiumkunden verfügbar sein. 4. Etwa Mitte nächsten Jahres werden wir diesen Anwendern die gesamte App freischalten. Dadurch erhalten sie zusätzlich den Zugang zur Vertriebs- und Kundenplattform mit den Live-Infos zu Bestellungen, Aufträgen, Reparaturen und Produktdaten. 5. Voraussichtlich ab Ende 2024 werden dann die mittels IDEA-4S bei der Endabnahme gesammelten Fingerprints in der App verfügbar sein. Hier legen wir also die Basis für die Vernetzung der Produktdaten mit unseren Kunden. Sie haben die Anwendungen selbst mithilfe von Low-Code entwickelt? Dr. Falker: Die Technologie ist für uns ein gutes Werkzeug, um selbst rasch und effizient Applikationen zu erstellen. Sie ist webbasiert, einfach und ohne tiefgehende Programmierkenntnisse verwendbar. Einzelne Module können für verschiedene Anwendungen eingesetzt werden und lassen sich einfach administrieren, das erleichtert die Beteiligung verschiedener Fachabteilungen am Entwicklungsprozess. Zudem sind sie über flexible Schnittstellen problemlos mit anderen IT-Systemen wie CRM, ERP, PDM/PLM und MES verknüpfbar. Fazit: Mit Low-Code können wir unsere unternehmensweite Digitalisierungsstrategie schnell, kostengünstig und unkompliziert in die Tat umsetzen. Als Maschinenbauunternehmen können wir auf diesem Weg wichtige Kernkompetenzen für die Digitalisierung stärken! Wie geht es weiter mit der Digitalisierung der Spindeltechnologie? Weiss: Unser Ziel ist es, dem Kunden mithilfe der App schnell und zuverlässig aktuelle Infos zur Lösung seiner Zerspanungsaufgaben zur Verfügung zu stellen. Für uns entstehen gleichzeitig Chancen für neue digitale Dienstleistungen rund um die Spindel. Umfassende Remote-Analysen oder -Zugriffsmöglichkeiten sind zwei mögliche Beispiele. Damit können wir unsere Kunden im Serviceeinsatz schneller als heute unterstützen, denn die Diagnose und Antworten auf Reklamationen sind rascher realisierbar. Damit werden sich für uns zukünftig auch neue Geschäftsfelder mit digitalen Dienstleistungen eröffnen. Denn wenn sie das Nutzungsverhalten der Spindel und von Motoren umfassend nachvollziehen und optimieren können, wird es möglich, Ausfälle weitestgehend zu vermeiden. Deshalb denken wir beispielsweise daran, neue Gewährleistungs- Modelle anzubieten. Bild: GMN www.gmn.de INTEGRIERTE DATENERFASSUNG UND AUSWERTUNG FÜR SPINDELN Mit IDEA-4S ausgestattete Spindeln von GMN verarbeiten verschiedene Sensorsignale gleichzeitig. Dazu gehören Lager- und Kühlmitteltemperatur, Drehzahl, Motortemperatur, Spannzustand sowie Schwingungen und Verlagerungen. Die Signale werden erfasst, gespeichert, in der Spindel selbst ausgewertet und über eine IO-Link-Schnittstelle zyklisch als Prozesswerte an die Maschinensteuerung übertragen: Dazu gehören die aktuellen Werte, Warnungen vor Abweichungen und Fehlermeldungen. Zusätzliche azyklische Informationen wie das digitale Typenschild und Informationen zum Asset Management der Antriebskomponenten können manuell abgerufen und geschrieben werden. Sie geben zum Beispiel Auskunft darüber, von wann bis wann eine Komponente in welcher Maschine bei welchem Kunden eingesetzt war und wie lange sie mit welcher Konfiguration gelaufen ist. Weiterhin erhalten Nutzer statistische Werte zu ihren Betriebsdaten. Diese Informationen können über eine IO-Link-Schnittstelle direkt durch die Steuerung oder über ein IIoT-Gateway weiterverarbeitet werden. www.derkonstrukteur.de DER KONSTRUKTEUR 2023/09 45
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