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DER KONSTRUKTEUR 1-2/2022

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DER KONSTRUKTEUR 1-2/2022

GEHEIMNISSE

GEHEIMNISSE DER MATERIE LÜFTEN SPECIAL Wenn 2025 die europäische Spallationsquelle ESS im schwedischen Lund ihren stationären Betrieb aufnimmt, wird ein neuer Schritt zum Ziel der Materieforschung gemacht. Insgesamt 13 europäische Länder sind an dem Großprojekt beteiligt. Viele anspruchsvolle Verbindungslösungen kommen von einem deutschen Anbieter. Irmgard Nille, freie Journalistin im Auftrag von U.I. Lapp GmbH Die 1,843 Milliarden Euro teure ESS wird eine der führenden Einrichtungen für Materieforschung sein. Ihre Aufgabe ist es, durch die sogenannte Spallation freie Neutronen für die Forschung zu gewinnen. Ab 2025 wird die ESS die leistungsfähigste Neutronenquelle der Welt sein und jährlich von tausenden von Wissenschaftlern genutzt werden können. Die Anlage umfasst einen Linearbeschleuniger, eine Targetstation, eine Anordnung von Neutroneninstrumenten, mehrere Laboratorien sowie ein Daten- und Softwarezentrum, das bei der Universität Kopenhagen in Dänemark angesiedelt ist. Mithilfe von Neutronen können aus dem Innersten der Materie verschiedenste Informationen herausgeholt werden. Sie erlauben tiefe Einblicke in die innere Struktur und Dynamik von Materie und zerstören dabei nicht die Untersuchungsobjekte. Die ungeladenen Kernteilchen können bis zu Billiardstel Metern kleine Strukturen und Billiardstel Sekunden kurze Bewegungen feststellen. Sie machen Kristallgitter und magnetische Strukturen, aber auch Bewegungen von Teilchen sichtbar und identifizieren verschie- 38 DER KONSTRUKTEUR 2022/01-02 www.derkonstrukteur.de

SPECIAL CONNECTIVITY ZUM ABSCHLUSS DER ARBEITEN WERDEN SCHÄTZUNGSWEISE 800 000 M KABEL VERLEGT WORDEN SEIN Diese werden in einem 600 m langen, unterirdischen Linearbeschleuniger mithilfe von weiteren elektromagnetischen Feldern so stark beschleunigt, bis sie mit einer Energie von rund zwei Gigaelektronenvolt nahezu mit Lichtgeschwindigkeit durch den Beschleuniger rasen. In der Targetstation kollidieren die Protonen mit einem rotierenden Target, das aus dem Schwermetall Wolfram besteht. Hier spalten die Protonen Neutronen aus den Kernen der Wolframatome ab, etwa zwanzig bis dreißig Neutronen für jedes Proton. Dies ist die sogenannte Spallation. Sie gilt als wesentlich effizienter als die Kernspaltung, da sie viel größere Neutronenflüsse für die Forschung liefert, mit dem zusätzlichen Vorteil, dass sie keine selbsterhaltende Kettenreaktion beinhaltet. Die aus dem Wolfram-Target freigesetzten Neutronen sind für die Forschung noch viel zu schnell und energiereich, um für wissenschaftliche Experimente genutzt zu werden. Sie müssen von etwa 10 % der Lichtgeschwindigkeit auf etwa die Schallgeschwindigkeit abgebremst werden. Dazu schickt man sie durch Moderatoren, die mit Wasser oder flüssigem Wasserstoff gefüllt sind. Nach dieser quasi „Vollbremsung“ gelangen die freien Neutronen über Beamlines zu den Experimentierplätzen. Hier zeichnen Detektoren auf, wie sich die Neutronen beim Durchgang durch verschiedene Materialproben verändern. So lässt sich berechnen, wie sich die Atome in der Probe anordnen und wie sie sich bewegen. Diese Analyse wird mithilfe des Daten- und Softwarezentrums in Kopenhagen durchgeführt. Kein Wunder, dass für die Errichtung der Europäischen Spallationsquelle ESS die Anforderungen an die benötigten Verbindungslösungen besonders hoch sind. Hier hat Lapp als weltweiter Anbieter von Kabeln, Leitungen und Kabelzubehör in guter Zusammenarbeit mit Elektroskandia und Assemblin mit Knowhow und innovativen Produkten zu diesem spektakulären Projekt beigetragen. So wurden zur Steuerung und Überwachung im Beschleuniger mehr als 16 000 Signalkabel benötigt. Vieles ist maßgeschneidert und alles muss bis ins kleinste Detail perfekt funktionieren. Dies gilt insbesondere für Kabel und elektrische Komponenten, denn die Geräte sind hochempfindlich. Die Firma Assemblin in Malmö wurde mit der Durchführung der elektrischen Installationen an den Beschleunigerteilen beauftragt. Hierfür hatte Rolf Grahl, Projektleiter bei Assemblin, von ESS ein hartes Pflichtenheft für die zu installierenden Produkte erhalten. Benötigt wurden beispielsweise mehr als 100 verschiedene Kabel typen. Viele davon sind Spezialkabel, mit hohen Anfordedene Isotope eines Elements. Dadurch eröffnen sich faszinierende Möglichkeiten. Mit den ESS-Neutronen können Materialeigenschaften erforscht werden, die mit anderen Methoden nicht möglich wären. Forschende aus Physik, Chemie, Biologie, Life Science, Energieforschung, Medizin, aber auch Archäologie und Kunstgeschichte werden wichtige Entdeckungen für die Menschheit machen können. NEUE ÄRA FÜR DIE NEUTRONENFORSCHUNG Allerdings ist es nicht so einfach, die gewünschten Neutronen zu gewinnen. Neutronen sind im Atomkern festgehalten. Sie müssen also „befreit“ werden. Statt Kernspaltung zu nutzen, wird im ESS dafür das moderne Konzept der Spallation, was so viel wie „Absplitterung“ bedeutet, genutzt. Und das funktioniert so: Eine Ionenquelle wird mit rasch wechselnden elektromagnetischen Feldern voller Wasserstoffgas aufgeheizt, damit sich die Elektronen aus den Gasmolekülen lösen. Zurück bleiben die Protonen. MEHR ALS 16 000 SIGNALKABEL BENÖTIGT www.derkonstrukteur.de DER KONSTRUKTEUR 2022/01-02 39