ANTRIEBSTECHNIK MICHAEL SZTUBA: Wir befinden uns weiterhin in einem der nachfrageschwächsten Jahre seit der Finanzkrise. Dabei ist die konjunkturelle Lage von Europa bis nach Südafrika in der Vertikallinie gedämpft. Außerhalb Europas verzeichnen wir zunehmend Wachstum. Die Nachfrage nach Industriegetrieben ist insbesondere in Asien sehr groß, und das über alle Branchen hinweg. Gleichzeitig wachsen die Märkte USA und Brasilien. Branchen, die sich stark entwickeln, sind die Logistik sowie die Stahlindustrie, Eisenindustrie sowie die Zement industrie. Hier ist man auf dem Weg, grüne Verfahren zu etablieren, mit denen sich sogenannter grüner oder anders gesagt klimafreundlicher Stahl und Zement herstellen lässt, der emissionsärmer ist als bisher. Der Aufbau dieser Prozesslinien spielt in Europa eine große Rolle. Man wird Zement weiterhin lokal produzieren, um so wichtiger ist es, auch in dieser emmisionsintensiven Industrie mit nachhaltiger Technologie voranzuschreiten. Durch unsere dezentrale Struktur und unser vielseitiges Produktportfolio sehen wir uns trotz aktueller Gegebenheiten perspektivisch gut aufgestellt. Nicole Steinicke: Der Trend geht immer mehr vom reinen Produkt, also Getriebe, in Richtung Customized Solutions. Wie begegnen Sie dieser Aufgabe, maßgeschneiderte Antriebspakete und Systemlösungen zu konzipieren, für die sicher ein umfassendes Applikationswissen gefordert ist? MICHAEL SZTUBA: Wir bieten unsere Getriebelösungen im Verbund an, das heißt: Getriebe, Antriebskupplung, E-Motor, Frequenzumrichter, sogar den Fundamentrahmen für den Einbau beim Kunden als Plug-and-play- Lösung. Im Fokus stehen bei uns Antriebspakete. Wir bieten Standardlösungen, einen Systembaukasten sowie Konfigurationstools, die uns die Lösungsfindung erleichtern. Innerhalb der Betriebsorganisation setzen wir auf sogenannte Technologie-Fachkreise, die ein spezifisches Fachwissen ein bringen. Unser Lösungsbaukasten unterstützt uns dabei, nicht für jede Anfrage neu konstruieren zu müssen. Das heißt, im Bereich Systemlösungen sind wir sehr gut auf Standard fragen eingestellt, aber auch für Sonderlösungen. Nicole Steinicke: Können Sie mir ein Beispiel nennen, in dem Sie derartige Systemlösungen im Rahmen eines Kundenprojektes erfolgreich realisiert haben? Welche Stärken konnten dabei besonders ausgespielt werden? TITELSTORY PRODUKTE UND ANWENDUNGEN VORHANDENES POTENZIAL BESTMÖGLICH NUTZEN Ein weltweiter Werksverbund, wie hier beschrieben, bildet die Basis für hochwertige Fertigungsergebnisse und Service an Ort und Stelle. Aber auch Innovationen lassen sich kooperativ wesentlich erfolgreicher auf den Weg bringen. Das zeigen die 92 Drive Technology Center in 57 Ländern, die SEW-Eurodrive zu einem der internationalen Marktführer der Antriebstechnik und -automatisierung gemacht haben. NICOLE STEINICKE, Chefredakteurin von Der Konstrukteur MICHAEL SZTUBA: Wir liefern Produkte und Lösungen gleichermaßen. Wir sind Partner unserer Kunden und entwickeln gemeinsam innovative Lösungen. Anschaulich wird dies an einem Beispiel eines Großprojektes im Bereich Mining. Hierbei stand der Kunde vor der Aufgabe, Schüttgut sehr steil nach oben befördern zu müssen. Eine derartige technische Anforderung war für uns absolut neu. Jedoch haben wir die Motivation, dieser Herausforderung zu begegnen. Gemeinsam mit dem Kunden haben wir eine Lösung inklusive Elektronik entwickelt, die es ermöglichte, mehrere hintereinander geschaltete Antriebe zu steuern und so die Aufgabe zu meistern. Der Kunde testete diese Entwicklung an einem sehr steilen Berg – mit Erfolg. Es folgten weitere Tests in einer kleinen Skalierung. Nach positiven Ergebnissen wurde die Projektphase dann in den Realbetrieb überführt. Das Resultat konnte sich sehen lassen: Realisiert wurden 350 verschiedene Industriegetriebe in zehn verschiedenen Ausführungen. Verbaut wurden 3.500 t Stahl in Getriebetechnik. Nun sind wir in der Inbetriebnahme-Phase und blicken zufrieden auf die Umsetzung dieser anspruchsvollen und einzigartigen Aufgabe. Von Vorteil war dabei die partnerschaftliche Zusammenarbeit innerhalb unseres europäischen Werksverbundes, bestehend aus den Werken in Bruchsal, Karkkila, Pilsen und Neuried, sodass die Arbeitslast optimal verteilt werden konnte. Nicole Steinicke: Lassen sich daraus Erkenntnisse für weitere Produktentwicklungen ziehen und wenn ja, wie setzen Sie diese im Design-, Konstruktions- und Entwicklungsprozess um? MICHAEL SZTUBA: Produkte zu entwickeln und Innovationen voranzutreiben, ist für uns ein kontinuierlicher und gerichteter Prozess. Wie bereits erläutert, entwickeln wir uns mit den Herausforderungen des Marktes stetig weiter, richten uns nach den Bedürfnissen unserer Kunden aus und bringen unsere Ideen und unsere Fachexpertise ein. Darüber hinaus stimmen wir im internationalen Verbund 22 DER KONSTRUKTEUR 2024/10 www.derkonstrukteur.de
ANTRIEBSTECHNIK SEW-WERKSVERBUND MIT UMFASSENDEM SUPPORT – EIN BEISPIEL AUS DER PRAXIS Ein aktueller Kundenauftrag belegt die Leistungsfähigkeit des SEW-Werksverbundes. In der Mining-Branche wurden für ein Großprojekt verschiedenste Antriebe benötigt, darunter ein Hauptantrieb für einen Schaufelradbagger sowie Förderantriebe zum Abtransport des Materials. Der Hauptantrieb wurde als Sonderanfertigung mit vorgegebenen Anschlussmaßen („Design-to-Oder“) im SEW-Werk Pilsen gefertigt, die Bandantriebe aus dem Werk Karkkila zugeliefert. Weitere Getriebe sowie Komponenten kamen aus dem Großgetriebewerk in Bruchsal, wo auch die finale Montage stattfand. Die Koordination übernahm ein internationales Projektteam. Hierbei kommunizierte genau ein Ansprechpartner in Deutschland mit dem Kunden. Das Projekt wurde erfolgreich in der Wunschlieferzeit des Kunden umgesetzt. zwei Mal im Jahr unsere zukünf tigen Entwicklungsthemen ab. Hinzu kommt unser Verbundgedanke, der uns nach vorn bringt: Lösungen, die lokal entstehen, sind unter Umständen auch für andere Standorte oder andere Branchen relevant. Daraus lassen sich neue Produkte, Baureihen und Systemlösungen entwickeln. Im Blick haben wir dabei immer unsere Roadmap mit einer kurz,-mittel und langfristigen Perspektive. Nicole Steinicke: Wo sehen Sie noch weiteres Entwicklungspotenzial im Umfeld von Industriegetrieben, wenn wir beispielweise an Condition Monitoring denken? MICHAEL SZTUBA: Jeder Anlagenbetreiber muss sich auf einen reibungslosen Betrieb der Anlagen verlassen können. Daher spielt Condition Monitoring eine große Rolle. Es erlaubt, den Zustand von Maschinen, Anlagen und Geräten kontinuierlich zu überwachen und den Status zuverlässig zu erkennen. Dabei ist es wichtig, dass die in den Wälzlagern verbauten Komponenten erkannt und die Schadensfrequenzen zielgerichtet bewertet werden. Und der Bedarf in der Industrie ist groß. Denn neben neu errichteten Anlagen sind rund 80 Prozent der Werke mit Bestands anlagen ausgestattet, die älter als 3 bis 5 Jahre sind. Hier punkten wir mit unserer DriveRadar IoT Suite. Die Grundlage dafür bildet ein abgestimmtes Sensorikpaket am Industriegetriebe. Sensoren erfassen betriebsrelevante Größen wie Schwingungen, Ölfüllstand, Betriebstemperatur und Eingangsdrehzahl. Nicht nur das Industriegetriebe, sondern auch weitere Komponenten des Antriebsstrangs können überwacht und analysiert werden. Wichtig hierbei ist, dass es nicht nur um das Getriebe geht, sondern um den Prozess, der damit einher geht. Der große Mehrwert für den Kunden ist eine gesteigerte Betriebszuverlässigkeit. Nicole Steinicke: Neben all den technischen Spezifikationen sind auch Umwelt- und Nachhaltigkeitsaspekte zunehmend wichtig. Dazu zählen unter anderem umweltverträgliche Materialien und Rohstoffe sowie die Verringerung des Ressourcen- und Energieverbrauchs. Was bedeutet Nachhaltigkeit für SEW-Eurodrive und wie fließen diese Aspekte in die Produktentwicklung der Getriebe ein? MICHAEL SZTUBA: Glücklicherweise nimmt Europa schon jetzt eine führende Rolle in nachhaltigem Wirtschaften und Handeln ein. Blicken wir auf Getriebe aus Stahl und Eisen, so sind diese gut recyclebar. Sie lassen sich zu 100 Prozent einschmelzen und liefern damit den Rohstoff für neue Produkte. Leider ist dieses Verfahren sehr energie- und kostenintensiv. Nachhaltigkeit muss jedoch bereits in der Produktentwicklung beginnen. Wir setzen daher auf Eco Design. Sämtliche Parameter von der Rohstofferzeugung über die Produktherstellung bis hin zu Transport und Versand werden kritisch abgewogen und von Beginn an in unserer Nachhaltigkeits betrachtung berücksichtigt. Auch der Kundenutzen spielt eine große Rolle: Welchen Wirkungsgrad hat das Produkt bei unseren Kunden und wie lassen sich Rückführung oder Kreislauf unter Energiebilanz-Aspekten optimieren? Nicht zu vergessen sind die Reparaturmöglichkeiten eines Industriegetriebes, die nach wie vor überwiegend die güns tigere und nachhaltigere Lösung sind. Aus diesem Grund haben wir innerhalb unseres europäischen Werksverbundes ein eigenständiges Tochterunternehmen etabliert, die Caba-Blind Antriebsaggregate GmbH, das sich hochgradig auf die Einzelstückfertigung von Ersatzteilen spezialisiert, um unseren Kunden auch eine schnelle Reparatur von Nicht-SEW-Getrieben anbieten zu können. Und darin sind wir im Umfeld unserer Marktbegleiter einzigartig. Kurzum: Wir können ein SEW-Produkt als Replacement anbieten. Zudem sind wir in der Lage, eigens hergestellte Getriebe sowie Getriebe der Mitbewerber zu reparieren. Damit leisten wir einen wesentlichen Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit im Industriegetriebe-Geschäft. Nicole Steinicke: Geben Sie uns noch einen Blick in die Zukunft? MICHAEL SZTUBA: Aus SEW-Perspektive verfolgen wir weiter die Strategie, Komplettanbieter zu sein und damit unser Produkt- und Dienstleistungsportfolio zu erweitern. Wir wollen noch näher an den Branchen sein und unsere Präsenz im Markt und in der Industrie weiter ausbauen. Mit Blick auf unsere Kunden, also Anlagenbauer und -betreiber, werden wir unser Portfolio zielgruppenspezifisch intensivieren und damit unsere One-Stop-Shop-Philosophie ausbauen. Gleichzeitig sind wir bestrebt, mit digitalen Services die Projektierung aus unserem Portfolio heraus noch smarter und informativer zu machen. Das sind die zwei wesentlichen Stellschrauben, an denen wir zur Zeit aktiv arbeiten. DAS INTERVIEW FÜHRTE DIPL.-ING. (FH) NICOLE STEINICKE, CHEFREDAKTEURIN DER KONSTRUKTEUR www.derkonstrukteur.de DER KONSTRUKTEUR 2024/10 23
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