Aufrufe
vor 7 Jahren

DER KONSTRUKTEUR 3/2015

DER KONSTRUKTEUR 3/2015

DIGITALE

DIGITALE PRODUKTENTWICKLUNG I SPECIAL Coole Bilanz Wirkungsgradberechnungen für Getriebe auf dem Prüfstand Jürg Langhart Die Frage nach Wirkungsgradberechnungen und thermischer Bilanz von Getrieben ist so alt wie die Getriebe selbst. Die Wärmeentwicklung ist ein Maß für die Verlustleistung und somit auch für betriebswirtschaftliche Aspekte. Und die Wärme im Getriebe ist nicht zuletzt für die Festigkeit der Elemente wie Zahnräder, Lager und Dichtungen wichtig und entscheidend für die Funktionsfähigkeit des Getriebes. Aber was ist bei der Berechnung zu bedenken und wie praxisgerecht sind die gültigen Normen? Dipl.-Ing. Jürg Langhart, KISSsoft AG das Gehäuse. Die Berechnung der Verlustleistungen der Zahnräder und Lager basiert auf etablierten Untersuchungen und bezieht sich teilweise auf andere Normen, wie die ISO/TR 13989 oder die AGMA 6123-B06 für Planetengetriebe. Für die Berechnung des Wärmeabflusses werden Der Konstrukteur muss in der Lage sein, die Getriebeberechnung an die eigenen Anforderungen anpassen zu können Die Berechnung des Wirkungsgrads von Getrieben wird heute nach dem grundsätzlich international anerkannten technischen Report ISO/TR 14179 durchgeführt. Die analytische Norm ist sehr schnell in der Anwendung, muss aber Vereinfachungen treffen und kann somit nicht allen Fragestellungen des Konstrukteurs gerecht werden. Gleichzeitig soll die Norm im Vorfeld der Auslegung schon mit ausreichender Sicherheit sagen können, ob das Getriebe die Mindestanforderungen des Pflichtenhefts erfüllen wird. Doch wie gut ist die ISO/TR 14179 für den Einsatz in der Praxis? Die Norm ist seit 2013 in Kisssys – dem Systemaufsatz zu Kisssoft – implementiert und daher mittlerweile in der Industrie bei verschiedenen Anwendungsfällen im Einsatz. Die Firma Kisssoft hat deshalb die Norm auf den Prüfstand gestellt und die Tauglichkeit für den Konstrukteur kritisch hinterfragt. Die Berechnung der thermischen Bilanz Der technische Report ISO/TR 14179 berechnet das thermische Gleichgewicht zwischen erzeugter Wärme aufgrund von Verlustleistung und Wärmeabfuhr über Berechnungsansätze aus der Thermik verwendet, wobei grundsätzlich die Wärmekonvektion über Gehäuse, aus dem Gehäuse ragende Wellen und das Fundament berücksichtigt sind, sowie die Wärmeabstrahlung von der Gehäuseoberfläche. Die abschließende thermische Bilanz ergibt sich aus der erzeugten Wärmemenge und der abgeführten Wärmemenge, woraus sich die sogenannte Beharrungstemperatur ergibt. Vereinfachungen der Norm und praktische Ansätze Die Schwachstellen des technischen Reports sind die vereinfachten oder mittlerweile teilweise veralteten Ansätze der Verlustleistungsberechnung. Im Bereich der Kegel- und Hypoidräder hat sich für die Verzahnungsverluste beispielsweise die Berechnung nach Wech etabliert, bei Wälzlagern stehen in Kisssoft ebenfalls die Be- 44 Der Konstrukteur 3/2015

SPECIAL I DIGITALE PRODUKTENTWICKLUNG rechnungen nach SKF 1994 oder 2004 zur Verfügung. Alternativ zur analytischen Rechnung liefert zur Berechnung der Zahnverlustleistung die Kontaktanalyse für Stirnräder die wesentlich genaueren Resultate, wobei sie auch Einflüsse wie zum Beispiel Kopfrücknahmen berücksichtigt. Mit der Korrekturauslegung von Kisssoft ist es zudem möglich, verschiedene Varianten der Mikrogeometrieoptimierung untereinander zu vergleichen. Nur schwer bestimmbar sind die lastunabhängigen Verluste, die durch die Ölströmung erzeugt werden. Sie sind bei Getrieben mit engen Vorgaben hinsichtlich des Bauraums häufig problematisch. Ein Beispiel hierzu liefert ein Getriebe des Textilmaschinenherstellers Rieter – ein Antrieb für eine 70 m lange Garnmaschine. Das Getriebe ist aus Bauraumgründen dreistufig mit vertikaler Anordnung der Stufen. Um eine zuverlässige Schmierung zu gewährleisten, ist das Getriebe bis zur Hälfte mit Öl gefüllt, sodass die zweite Welle komplett in Öl getaucht ist. Das führt zu relativ hohen Planschverlusten, was – in typischen heißen Einsatzgebieten wie Süd - in dien – in einer Betriebstemperatur von ca. 80° resultiert. Mit Hilfe des technischen Reports ISO/TR 14179 können zwar sehr schnell Vergleichsberechnungen mit unterschiedlicher Ölfüllmenge und Ölviskosität berechnet und gleichzeitig auch die Flankensicherheit der Zahnräder betrachtet werden. Die Frage nach Änderungen im Gehäuse und deren Einfluss auf die Planschverluste lässt sich jedoch mit dem technischen Report nicht beantworten. Modifikationen an der Berechnung Die Angabe und Optimierung von Wirkungsgraden gehört mittlerweile auch bei Industriegetrieben zum Stand der Technik. Die Firma ZAE AntriebsSysteme ist ein Hersteller von Industriegetrieben wie Kegel- Stirnradgetriebe, Schnecken-Stirnradgetriebe und Stirnradgetriebe – mit Spezialisierung auf spielarme und laufruhige Getriebe. Ein Getriebe aus der Baureihe der Kegel-Stirnradgetriebe wurde mit verschiedenen Messungen untersucht. Die Betriebspunkte wurden mit 25 %, 50 % und 100 % der Nenndrehzahl, jeweils mit mehreren Lasten festgelegt. Dies ermöglicht Aufschluss über lastunabhängige und die lastabhängige Berechnungsanteile. Bereits im ersten Berechnungsgang wurde eine gute Übereinstimmung der Kisssys Berechnungen mit den Messresultaten erzielt. Mit Hilfe geeigneter Modifikationen in Kisssys 01 Netzdiagramme für Wirkungsgrad (Efficiency, links) und Drehwegabweichung (Transmission error, rechts) konnten die einzelnen Berechnungen noch näher an die Messungen herangeführt werden, sodass nun für weitere baugleiche Getriebe eine sehr zuverlässige Vorabberechnung gemacht werden kann. Kennfelder anstelle von Formeln Die Wirkungsgradberechnung ist auch im Automobilbereich ein aktuelles Thema angesichts der Bestrebungen, den CO 2 -Ausstoß zu reduzieren. Die Firma IAV setzt ebenfalls Kisssoft und Kisssys ein für die Entwicklung des 7-Gang-Doppelkupplungsgetriebes und berechnet gleichzeitig die Verlustleistung des Getriebes. Für die nicht vom ISO/TR 14179 abgedeckten Elemente wie Ölpumpen, Synchronisierungen und Kupplungen werden Messungen oder empirisch gerechnete Kennfelder zu Hilfe gezogen, denen für jeden beliebigen Betriebspunkt des Motors gemäß dem Fahrzyklus des NEFZ die jeweilige Verlustleistung entnommen werden kann. Anschließend werden die einzelnen Verluste synthetisiert und über die vorhandenen Fahrzeugdaten zu einem resultierenden CO 2 -Ausstoß umgerechnet. Auf den Punkt gebracht Der technische Report ISO/TR 14179 stellt eine gute Ausgangslage für die Berechnung der thermischen Bilanz dar. Der Vorteil ist eine schnelle Berechnung anhand eines analytischen und genormten Rechengangs, sodass die Berechnungen bereits bei Konzeptuntersuchungen eingesetzt werden können und untereinander vergleichbar sind. Es zeigt sich jedoch auch, dass im täglichen Einsatz der Getriebeberechnungen die verschiedenen Aufgabenstellungen ziemlich weit auseinan- 02 Modell des 7-Gang-Doppelkupplungsgetriebes der IAV GmbH und Kennfeld der Ölpumpe Der Konstrukteur 3/2015 45